4. "Verloren gehen kann Spaß machen "

Iwata:

Ich habe Mr. Kawai jetzt viel dazu gefragt, wie es mit Street View losging und wie die aktuelle Situation ist, aber wir haben eigentlich auch schon seit den frühen Phasen auf das Wii U-Projekt und seinen speziellen Reiz geachtet. Wir wussten, dass wir es alleine nicht abschließen könnten, also haben wir über verschiedene Ansätze nachgedacht. Mr. Suzuki, vielleicht können Sie uns etwas darüber erzählen.

Suzuki:

Okay. Soweit ich weiß begann alles mit einer Demo, die wir bei der E320 im Jahr 2011 einer ausgewählten Gruppe von Leuten gezeigt haben. Dabei war auf einem Fernseher die echte Aufnahme eines Autos zu sehen, das eine Straße entlang fährt, während man - synchron mit den Bildern des Autos - das Wii U GamePad dazu benutzen konnte, um sich damit im 360 Grad-Winkel voll umzusehen.20. E3 (Electronic Entertainment Expo): Eine Videospielmesse, die normalerweise in Los Angeles stattfindet.

Iwata Asks
Iwata:

Das war der Prototyp von "Wii U Panorama View"21.21. Wii U Panorama View: Eine interaktive Simulationssoftware, bei der die Benutzer das Wii U GamePad dazu benutzen können, sich eine 360 Grad-Rundumsicht von etwas anzusehen, als ob sie sich selber vor Ort befinden würden. Sie soll im Frühjahr 2013 veröffentlicht werden. Es ist geplant, eine Demo-Version über den Nintendo eShop anzubieten, bei der die Benutzer verschiedene Szenen erleben können.

Suzuki:

Richtig. Der Aufbau und die Umsetzung sind relativ ähnlich zu Google Street View, deshalb kann ich gut nachvollziehen, was Mr. Kawai eben über die Schwierigkeiten beim Fotografieren gesagt hat.

Iwata:

Es gab also an relativ ähnlichen Stellen Herausforderungen zu überwinden? (lacht)

Suzuki:

Genau! (lacht) Aber bei "Wii U Panorama View" geht es um Videos, also haben wir uns darauf konzentriert, solche Situationen nacherlebbar zu machen, in die man normalerweise nicht so einfach kommen würde. Wir möchten ab jetzt verschiedene Varianten dazu veröffentlichen, wie z. B. Rundumbilder des Karnevals in Rio de Janeiro22, oder ein Flug durch die Lüfte mit Vögeln, aber wir haben auch darüber gesprochen, ob wir diese Sachen in Zukunft auch alle weiterhin selber filmen müssten. Als Alternative zu den Videoinhalten haben wir daher darüber nachgedacht, ob wir gemeinsam mit Google etwas umsetzen könnten, die ja schon Erfahrungen mit Street View gesammelt haben.22. Carnaval do Rio de Janeiro: Der größte Karneval der Welt, der jedes Jahr in Rio de Janeiro gefeiert wird.

Iwata:

Um zügig etwas umsetzen zu können, das man noch nie selber gemacht hat, ist es am besten, wenn man die Fähigkeiten anderer talentierter Leute zielgerichtet einsetzt. Man kann viel bessere Ergebnisse erzielen, wenn man mit Profis aus dem entsprechenden Gebiet zusammenarbeitet.

Suzuki:

Damals haben wir zufällig an etwas gearbeitet, das als technologische Grundlage verwendet werden konnte, also haben wir zusammen mit Mr. Ohashi von teamLab gesagt: "Legen wir alle Bilder mal an einem Würfel an und schauen sie uns so an", und haben zusammen an einem Prototypen herumexperimentiert.

Iwata:

teamLab ist eine Gruppe von Profis, die viel mehr von Web-Technologie verstehen als wir, deshalb haben wir schon früh um ihre Mithilfe dabei gebeten, ein Web-Technologiesystem für Wii U umzusetzen.

Ohashi:

Richtig. Wir haben schon vor diesem Projekt mit Nintendo zusammengearbeitet, und dadurch kam es jetzt auch zu meiner Beteiligung an diesem Projekt.

Iwata Asks
Iwata:

Wie waren denn die Reaktionen auf den Prototyp, den Sie entwickelt haben?

Suzuki:

Als wir es das erste Mal auf einem Fernseher gezeigt haben, waren die Reaktionen so ähnlich wie bei der Vorstellung heute.

Iwata:

Die meisten Leute haben denselben Eindruck. Das 'Street View'-Material ist so reichhaltig, dass es natürlich erst mal überraschend ist, aber wenn man es nicht auf einem persönlichen Gerät wie einem PC, Smartphone oder Tablet, sondern auf einem großen Fernseher erlebt, fühlt es sich wirklich ganz besonders an. Das ist auch so, wenn Techniker es sehen. Sie sagen alle einfach nur: "Wow!"

Kawai:

Als Sie es in Amerika präsentiert haben, hatten die Google-Mitarbeiter dieselbe Reaktion. Mr. Suzuki war an zwei Tagen da. Die Leute, die es am ersten Tag gesehen haben, sagten alle: "Das ist ja großartig!" Ihre Begeisterung hat sich in der Firma rumgesprochen und verbreitet, und deshalb war der Konferenzraum am zweiten Tag so voll mit Leuten, dass man gar nicht mehr rein konnte!

Suzuki:

Das stimmt. Es waren so viele Leute da, dass der gesamte Raum voll war.

Kawai:

Und dabei ist eigentlich bekannt, dass unsere Technikerteams bei Google Konferenzen gar nicht mögen. Normalerweise wollen sie in ihrem eigenen Tempo an den Sachen arbeiten, so dass meistens keiner auftaucht, wenn wir eine Besprechung abhalten möchten!

Iwata:

(lacht)

Kawai:

Aber da sind sie wirklich in Scharen gekommen! Das war so ein ungewöhnliches Ereignis, dass ein Manager sogar sagte, dass es das erste Mal sei, dass er sein ganzes Team in einem Raum versammelt sieht!

Iwata:

Dann hat die Demonstration also Eindruck gemacht.

Kawai:

Alle waren unglaublich aufgeregt. Es hat von Anfang an so gut zusammengepasst, dass sich die Leute gefragt haben, ob die Karten und Street View nicht von vornherein so hätten sein sollen!

Suzuki:

Ich habe alle persönlich angesprochen und es ausprobieren lassen und habe dann auch direkt viele Ratschläge gekriegt, so in etwa: "Sie sollten es so machen" oder "Warum probieren Sie nicht mal das?" (lacht)

Iwata:

Es hat wohl auch so einen guten Eindruck gemacht, weil allen bewusst geworden ist, dass es so ein Gerät wie die Wii U noch nie gegeben hat. Bis dahin hatte Google verschiedene Methoden für die Fotografie eingesetzt, aber sie waren davon ausgegangen, dass sie auf herkömmlichen Geräten betrachtet werden, und dann ist allen zum ersten Mal klar geworden, dass sich das Benutzererlebnis noch verbessern lässt, wenn man die Präsentationsform optimiert.

Kawai:

Ganz genau. Mich hat es richtig umgehauen.

Iwata:

Leider kann man die Wirkung und den Eindruck davon, das Wii U GamePad tatsächlich in Verbindung mit der fesselnden Darstellung auf dem Fernseher zu bewegen, nicht durch Erklärungen oder übers Internet vermitteln. Es wird einem erst richtig klar - "Wow! Ich kann damit wirklich überall hingehen und mich frei umschauen!" - wenn man es selber erlebt.

Suzuki:

Es ist wirklich unglaublich, wie sehr es einen fasziniert, wenn man es zum ersten Mal erlebt. Auf einmal ist man mittendrin und verliert sich in der neuen Umgebung!

Alle:

(lachen)

Kawai:

Das stimmt wirklich! Ich dachte immer, das Street View ein Hilfsmittel ist, das verhindern soll, dass man verloren geht! Aber hier muss man sagen: "Damit macht es richtig Spaß, sich in seiner Umwelt zu verlieren!" (lacht)

Iwata:

Ich weiß, was Sie meinen! (lacht) Man hat wirklich stark den Eindruck, dass man sich in der neuen Umgebung verliert und einfach ziellos z. B. durch eine neue Stadt spazieren kann, die man noch nie gesehen hat.

Suzuki:

So ziemlich am Anfang der Entwicklung, als die Programme noch nicht vollständig verknüpft waren, habe ich es getestet und war auf einmal an einem mir völlig unbekannten Ort! Ich dachte nur: "Wo bin ich bloß?" und "Sieht irgendwie nach Amerika aus!" Irgendwie macht das einfach Spaß.

Iwata:

Man kann es also mit einer Karte verknüpfen und zwischen den beiden Darstellungen hin und her wechseln, aber mit dieser Grundlage könnte man z. B. auch ganz neue Spielvarianten umsetzen.

Suzuki:

Ja. Es könnte z. B. lustig sein, wenn man sich einen besonderen Platz aussucht und die anderen Leute ihn dann erraten müssen.

Takahashi:

Bis jetzt konnte man Street View nur über eine Karte aufrufen. Und dann hat man es sich alleine angeschaut, deshalb sind solche Ideen nie aufgekommen. Aber wie ich gerade erwähnt habe, kann durch ein paar kleine Veränderungen etwas komplett Neues und Originelles daraus werden.

Iwata Asks
Iwata:

Das stimmt. Bisher war es im Normalfall so, dass man erst auf die Karte geschaut, dann die kleine Figur23 hereingesetzt, und sich dann die 'Street View'-Ansicht angeschaut hat. Das war die einzige Nutzungsmöglichkeit.23. Figur: Ein stilisiertes Männchen, das die Benutzer anklicken und auf die Karte ziehen können, um den 'Street View'-Modus zu aktivieren.

Takahashi:

Ich glaube, man könnte auch auf neue Art Spaß mit Street View haben, wenn man bei einer Suche einen Ort als Ergebnis bekommen würde, bei dem man denkt: "Hm? Damit habe ich jetzt aber nicht gerechnet!"

Iwata:

So würden sogar Sie zwischendurch mal etwas Neues entdecken, Mr. Kawai.

Kawai:

Stimmt. Ich glaube, wir haben selber auch noch nicht das volle Potential von Street View ausgereizt.

Iwata:

Die weltgrößte Sammlung von Umgebungsfotografien und den dazugehörigen Daten könnte sich noch als wahre Fundgrube für besondere Unterhaltungsmöglichkeiten herausstellen!