2. Die gesamte sichtbare Umgebung

Iwata:

(nimmt den Street View Trekker wieder ab) Okay, sollen wir dann jetzt mal anfangen?

Kawai:

Ach, wir fangen jetzt erst richtig an?

Iwata:

Ja. (lacht) Stellen Sie sich bitte selber noch vor, Mr. Kawai?

Kawai:

Also, ich bin Mr. Kawai von Google. Ich bin 2007 zur Firma gekommen, im nächsten Jahr bin ich also seit sieben Jahren dabei. Kurz nachdem ich dazugekommen bin, hat mir mein Chef den Auftrag gegeben, Google Maps umzusetzen. Mein erster Gedanke war: "Was?! Landkarten?!" Ursprünglich war ich ja Techniker und hatte die Vorstellung, dass es bei Google nur ums Suchen geht, und hatte mir meine Arbeit auch nur in diese Richtung vorgestellt.

Iwata Asks
Iwata:

Sie hatten also einen Arbeitsauftrag, der komplett unterschiedlich zu dem war, was Sie erwartet hatten.

Kawai:

Richtig. Aber als ich erst angefangen hatte, habe ich festgestellt, dass die Arbeit mit Karten viel Tiefgang haben und sehr interessant sein kann.

Iwata:

Sie wurden also in das Projekt involviert und haben dann erst eine Begeisterung für Karten entwickelt.

Kawai:

Ja. Im Lauf von drei bis vier Monaten habe ich mich bis über beide Ohren darin vergraben. Man kann keine Karten erstellen, ohne dass sich Leute dafür gezielt fortbewegen, und um sich gezielt fortzubewegen, brauchen die Leute Karten. Ist das nicht äußerst faszinierend?

Iwata:

Die Fortbewegung der Leute und Karten gehören einfach zusammen.

Kawai:

Richtig. Die meisten Google-Services beziehen sich komplett auf das Internet, aber bei den Karten ist das nicht so. Ich finde es interessant, wie seine eine Verbindung zwischen dem Internet und der realen Welt herstellen.

Iwata:

Man kann eben nie wissen. So wie Sie es erlebt haben, Mr. Kawai, könnten Sie ja auch zu jemandem, der seine Arbeit uninteressant findet und ihr negativ gegenüber steht, sagen: "Wenn Sie dabeibleiben, überrascht es Sie vielleicht noch und stellt sich doch als interessant heraus."

Kawai:

Davon bin ich überzeugt. Google Maps hat sich dann schnell in Amerika verbreitet und wir haben darüber gesprochen, es auch im Ausland umzusetzen. Ich war verantwortlich für Japan, aber als es 2011 darum ging, Street View auch auf Europa und Afrika auszuweiten, bin ich ins Hauptquartier in Amerika zurückgekehrt und habe dort die Aufsicht über das 'Street View'-Projekt auf der ganzen Welt übernommen.

Iwata:

Sie als Japaner sind also verantwortlich für das 'Street View'-Projekt, das mittlerweile auf der ganzen Welt verbreitet ist.

Kawai:

Ja – das hat sich so ergeben. (lacht)

Iwata:

Wie ging es denn Ihres Wissens mit Street View los? Es ist ja schon schwierig genug, einfach nur die Karten anzufertigen und zu erfassen, aber für dieses Projekt mussten Sie ja bei Null anfangen und überall hin gehen, um dort Fotos zu machen, und das erfordert eine Menge Aufwand.

Kawai:

Ja. Aber am Anfang hatten wir noch gar nicht so große Ziele. Die meisten Google-Projekte fangen mit einer simplen Basisidee an, z. B.: "Es wäre doch toll, wenn wir einfach ..."

Iwata:

Genau wie bei dieser Software! (lacht)

Kawai:

Ja! (lacht) Bei Street View war es aber z. B. so, dass Larry Page, der Mitbegründer und aktuelle CEO von Google, einmal ein Video mit zur Arbeit gebracht hat, das er vom Beifahrersitz seines Autos aus aufgenommen hatte. Er hat die Mitarbeiter gefragt, ob sie so etwas nicht auch umsetzen könnten.

Iwata:

Oh ... das war dann also die eigentliche Inspiration. Die Idee, die Landschafts- und Umgebungsdaten der ganzen Welt zu erfassen, hat also Zuhause angefangen.

Kawai:

Also, wir haben das später hinzugefügt, weil man Karten ja aus einer horizontalen Perspektive benutzt, so dass man sie nicht nur von oben sehen sollte, und wir es sehr praktisch fanden, sie auch seitlich betrachten zu können. Aber es fing eigentlich schon mit der Idee an, dass es ziemlich cool wäre, wenn man die gesamte sichtbare Umgebung zur späteren Betrachtung fotografieren könnte.

Iwata:

Aber es konnte ja nicht einfach werden, ernsthaft zu versuchen, all diese Umgebungsdaten aus der ganzen Welt zu erfassen und zu speichern.

Kawai:

Ja, es war auch wirklich sehr schwierig. Zuerst haben wir probiert, eine große Kamera auf einem Kleintransporter anzubringen. Wir haben viele Computer im Transporter untergebracht und zwei große Generatoren benutzt, um das Equipment - wie z. B. das Mini-Datencenter - zu betreiben. Aber wir hatten dabei alle möglichen Schwierigkeiten, z. B. haben die Generatoren das Innere des Fahrzeugs komplett eingeräuchert und das Fahrzeug war dann auch viel zu schwer zum Fahren!

Alle:

(lachen)

Kawai:

Am Ende haben wir den Gedanken "Je größer, desto besser" aufgegeben, alles Unnötige entfernt und ein einfaches, normales Auto mit kommerziell erhältlichen Kameras und Computern ausgerüstet, und nur das wichtigste Equipment eingesetzt.

Iwata:

Wie war es, als Sie mit Street View in Japan angefangen haben? In Japan gab es da doch bestimmt Probleme, die es in Amerika nicht gegeben hat, nicht wahr?

Iwata Asks
Kawai:

Wir haben 2008 in Japan mit Street View angefangen, aber die Straßen sind hier einfach sehr eng und voller Leute; es gibt viele Umstände, die so nur in Japan auftauchen konnten, und wir haben uns dann nach und nach damit beschäftigt.

Iwata:

Wie haben Sie denn die Orte fotografiert, die zu eng und unerreichbar für Autos sind?

Kawai:

Da hatten wir verschiedene Methoden; manchmal haben wir Trikes, also große Fahrräder mit drei Rädern, verwendet. Wir haben eine Kamera, einen PC und einen Generator darauf angebracht, so dass sie mit einem Brummgeräusch an einem vorbeifahren sind, wie ein mobiler Straßenverkaufsstand. Die haben aber keinen Motor, das ist also ganz schön anstrengend! (lacht)

Iwata:

Eine Firma, die für ihre überragende geistige Arbeit bekannt ist, fotografiert all diese Orte auf die harte Tour, durch anstrengende körperliche Arbeit!

Kawai:

(lacht) Orte wie der Fushimi Inari-Taisha-Schrein in Kyoto sind steil und holprig; ich erinnere mich daran, dass es höllisch schwierig war, diese Aufnahmen mit dem Trike zu machen. Aber ab jetzt spielt der Street View Trekker eine große Rolle bei uns, so dass wir jetzt noch bessere Aufnahmen machen können.

Iwata:

Wie fotografieren Sie denn im Inneren von Gebäuden?

Kawai:

Das ist noch etwas primitiv, dabei bringen wir die Kamera auf einem Kamerawagen an. Und wenn das GPS13 mal nicht funktioniert, messen wir Distanzen an Radumdrehungen wie bei einer Marathonstrecke, und dann verwenden wir die Distanzen und den Radius, um unsere Position zu bestimmen.13. GPS (Global Positioning System): Ein System, das Satelliten verwendet, um Positionen auf der Erde genau zu bestimmen.

Iwata:

Oh ...

Kawai:

Als wir den ersten Prototyp entwickelt haben, war die Kamera zu schwer und hat sich auch noch hin und her bewegt, so dass die Fotos verschwommen waren. Also haben wir das Gewicht an der Basis erhöht, um den Schwerpunkt zu verschieben. Dann war sie aber zu schwer zum Bewegen! (lacht) Wir mussten immer wieder verschiedene improvisierte Lösungen zusammenbauen.

Iwata:

Es ist überraschend, wie man sich alle möglichen Methoden ausdenken muss und sich manchmal nur zentimeterweise fortbewegt. Aber durch die Lösung dieser Probleme konnten Sie dann am Ende all diese Fotos machen.

Kawai:

Ja, aber wenn man einen Blick hinter die Kulissen wirft, ist alles relativ simpel und ohne aufwändige Technik gelöst.

Iwata:

Ich möchte Sie gerne noch etwas fragen. Wie viele Leute und Fahrzeuge haben Sie eingesetzt, um die Karten für Japan zu erstellen, und wie groß war die Fläche, die Sie damit abdecken mussten? Das könnte man bestimmt mit einer Fermi-Schätzung14 ungefähr einordnen. (lacht)14. Fermi-Schätzung: Das schnelle Abschätzen einer bestimmten Mengenzahl durch logische Schlussfolgerungen, bei der die tatsächliche Erfassung große praktische Schwierigkeiten mit sich bringen würde.

Kawai:

Ähm, bisher haben wir in Japan nur die wichtigsten Städte erfasst, wir sind also erst halb fertig. Und die Umgebung in den Städten verändert sich so schnell, dass man nicht einfach so sagen kann, dass wir X Fahrzeuge brauchen, um diese Anzahl an Flächenkilometern abzudecken.

Iwata:

Ah, ich verstehe. Im Lauf der Jahre verändern sich die Gebäude und die Umgebungen, so dass man nicht einfach sagen kann, wie viele Fahrzeuge man braucht und wie lange es dauern wird.

Kawai:

Das Klima und die Jahreszeiten spielen auch eine Rolle, es bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als Jahre damit zu verbringen. Und während wir noch so hart wie möglich daran arbeiten, den Rest Japans zu erfassen, werden die Fotos der wichtigen Städte schon wieder erneuert. Im Vergleich mit allen anderen Orten wird Kyoto vielleicht am häufigsten überarbeitet - weil ich einfach ein großer Fan von Kyoto bin! (lacht)

Iwata:

Okay, danke sehr! (lacht)