1. Das Schicksal geht merkwürdige Wege

 

Redaktioneller Hinweis:
Dieses Interview wurde ursprünglich am 17. August 2010 veröffentlicht.

Iwata:

Heute ist zum dritten Mal Mr. Sakaguchi zu Gast bei mir, und außerdem Nobuo Uematsu, der für die Musik in "The Last Story" verantwortlich war. Sie beide arbeiten ja schon lange zusammen. Könnten Sie mir sagen, wie es zu Ihrer Zusammenarbeit kam? Wie haben Sie sich kennengelernt?

Uematsu:

Also, ich habe früher in Hiyoshi, Yokohama, gewohnt und bin jeden Abend mit einer Gruppe von aufstrebenden Autoren, Musikern, Kalligraphen und so weiter auf einen Drink ausgegangen. Durch sie habe ich eine Frau kennengelernt, die bei Square1 gearbeitet hat. So bin ich in Verbindung mit dieser Firma gekommen. Square hatten zu dieser Zeit ihren Hauptsitz in Hiyoshi, und so habe ich Mr. Sakaguchi getroffen, der dort der Chef war. 1Hironobu Sakaguchi hat die Arbeit an der "Final Fantasy"-Reihe (von FF I bis FF X-2) bei Square (jetzt Square Enix) geleitet.

Sakaguchi:

Ich habe als Director bei der Firma gearbeitet, die zu dieser Zeit eigentlich nur aus Teilzeitmitarbeitern bestand. Wir steckten mitten in der Entwicklung unseres ersten Titels, "The Death Trap"2, und haben jemanden gesucht, der dabei die Musik übernehmen konnte. 2The Death Trap ist ein PC-Adventure-Spiel, das nur in Japan veröffentlicht wurde. Es war das erste Spiel, das von Square entwickelt wurde, und Hironobu Sakaguchi war dabei für das Konzept und Szenario des Spiels verantwortlich.

Iwata:

Sie wurden also durch glückliche zeitliche Fügungen zusammengeführt.

Sakaguchi:

Genau. Ich glaube, Mr. Uematsu hatte zu dieser Zeit einen Teilzeitjob in Hiyoshi, nicht wahr?

Uematsu:

Ja, so war es. Ich habe in einem Kassetten-Verleih gearbeitet; heutzutage können sich die Leute gar nicht mehr vorstellen, dass es so etwas überhaupt gegeben hat. (lacht) Mr. Sakaguchi kam dort ab und zu vorbei, also habe ich ihm meine Demo-Bänder in die Hand gedrückt. Eines Tages haben wir uns zufällig in der Stadt getroffen und er sagte: "Square wird jetzt eine eigenständige Firma. Möchten Sie nicht dazu kommen?" Ich konnte ihm meine Antwort direkt geben: "Ja, gerne!" (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

Wie lange kannten Sie sich zu diesem Zeitpunkt schon?

Sakaguchi:

Ungefähr ein Jahr, würde ich sagen.

Uematsu:

Ich hatte ziemlich viel Glück, weil ich gar nicht zum Vorstellungsgespräch musste! (lacht)

Sakaguchi:

Ich glaube nicht, dass wir damals in der Lage gewesen wären, ein richtiges Vorstellungsgespräch abzuhalten! (lacht)

Iwata:

Ich bin zu HAL Laboratory3 gekommen, nachdem ich schon Teilzeit bei ihnen gearbeitet hatte, deshalb musste ich auch nie durch einen Bewerbungsprozess oder Eignungsprüfungen! (lacht) Ich würde sagen, dass damals die meisten Softwareunternehmen auch so gearbeitet haben. Eine Gruppe von Leuten hat sich zusammengefunden, um gemeinsam etwas Interessantes zu machen, und daraus sind dann Firmen geworden. Es gab einfach keinen Grund für irgendwelche Formalitäten. 3HAL Laboratory, Inc. ist eine japanische Videospielentwicklerfirma, die z. B. die "Kirby"- und "Super Smash Bros."-Spielreihen entwickelt hat. Nach der Firmengründung im Jahr 1980 arbeitete Satoru Iwata während seines Studiums als Teilzeitmitarbeiter bei dieser Firma und kam dann nach seinem Studienabschluss als Vollzeitangestellter dazu.

Uematsu:

Ich glaube, ich habe nicht mal einen Lebenslauf eingeschickt.

Sakaguchi:

Nein, ich glaube, das haben Sie wirklich nicht. Jetzt wo Sie es erwähnen, fällt mir auf, dass ich Ihren Lebenslauf eigentlich noch nie gesehen habe! (lacht) Ich habe erst später erfahren, dass Mr. Uematsu englische Literatur studiert hat.

Uematsu:

Hey! Verraten Sie das doch nicht allen! (lacht)

Iwata:

Was für eine schockierende Enthüllung! (lacht) Wie sind Sie denn dann schließlich zur Musik gekommen?

Uematsu:

Ich war eigentlich nur ein ganz normaler Musikfan. Ich hatte gar nicht so viel Interesse an klassischer Musik. Ich habe spät nachts Rock und Pop im Radio gehört und mir vorgestellt, eine Karriere zu haben, bei der ich etwas mit Musik zu tun hatte. Da war ich gerade auf der weiterführenden Schule und es kam mir vor wie ein unerreichbarer Traum. Ich habe dann Demo-Bänder aufgenommen und an verschiedene Leute verschickt, aber in dieser Industrie kann man nicht einfach so über einen passenden Job stolpern. Als ich Mr. Sakaguchi getroffen habe, hatte ich eigentlich gar keine offizielle Musikausbildung. Deshalb schätze ich es als unwahrscheinliches Glück ein, diesen Job bekommen zu haben. Ich denke, dass da Schicksal im Spiel war.

Iwata:

Ich habe kürzlich mit Mr. Koji Kondo4 über Marios 25-jähriges Jubiläum gesprochen. Er hat von der Gelegenheit erzählt, die "Super Mario Bros."-Titelmelodie - als sein zweites Spieleprojekt überhaupt - zu komponieren, die jetzt ja jeder kennt. Dabei sagte er auch, dass es ihm wie Schicksal vorkam. Mr. Uematsu, Sie sagen, dass Sie praktisch das Glück hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, aber vielleicht waren das wirklich die merkwürdigen Wege des Schicksals. 4Koji Kondo hat die Musik für viele Videospiele komponiert, darunter auch die "Super Mario Bros."- und "Legend of Zelda"-Reihen. Er arbeitet in der Entertainment Analysis and Development (EAD) Division bei Nintendo.

Uematsu:

Mittlerweile gibt es dafür spezielle Ausbildungsinstitute, aber damals war es keine angesehene Karriereentscheidung, die Musik für Videospiele zu machen. Ich habe sogar den Eindruck, dass diejenigen Leute für Videospiele komponiert haben, die Schwierigkeiten hatten, sich ihren Lebensunterhalt mit der Musik zu verdienen. Ich glaube, dass viele Leute in der Branche gelandet sind, die eigentlich beim Film oder in ähnlichen Bereichen arbeiten wollten, aber nicht das Glück hatten, dass ihre Träume wahr geworden sind. Das hat dazu geführt, dass es damals wirklich den Wunsch gab, im Medium der Videospiele etwas Neues und Frisches zu erreichen, um die Tatsache auszugleichen, dass die ursprünglichen Pläne vielleicht nicht geklappt hatten.

Iwata:

In nur zwei Jahrzehnten haben die Möglichkeiten, musikalische Ideen umzusetzen, sehr stark zugenommen, und immer wenn sich die Technologie verändert, kann man neue Wege finden, dieses Potential voll auszuschöpfen. Aber die Erstellung von Audio-Inhalten für Videospiele unterlag am Anfang sehr starken Einschränkungen. Wie war es für Sie, innerhalb dieser engen Vorgaben zu arbeiten, obwohl Sie ja eigentlich Musik machen wollten?

Uematsu:

Ich habe meinen Job selber schon als eine Art Spiel betrachtet. (lacht)

Iwata:

Ah, ich weiß genau, was Sie meinen! (lacht)

Iwata Asks
Uematsu:

Damals gab es beim Famicom ein Limit von drei Noten5; es war also wie das Lösen eines Puzzles, wenn man versucht hat, auf diese Art Musik zu schreiben. Eigentlich hat es mir sogar richtig Spaß gemacht. 5Das Famicom konnte nur drei Noten gleichzeitig wiedergeben, Musik und Sound-Effekte eingeschlossen.

Iwata:

Ich nehme an, dass es diese Leute waren, denen die Arbeit innerhalb der Einschränkungen schon Spaß gemacht hat, die in der Welt der Videospielmusik die besten Ergebnisse erzielt haben. Ich denke, manchen Leuten liegt das einfach und manchen nicht. Manche konnten sich nicht damit arrangieren, mit nur drei Noten zu arbeiten, und andere Leute haben die Herausforderung genossen.

Sakaguchi:

Man hatte vielleicht nur drei Noten, aber man konnte mit zwei dieser Noten zumindest schon so eine Art Chor-Effekt erreichen.

Uematsu:

Wir haben alle möglichen Sachen ausprobiert, z. B. die Frequenzen leicht zu verändern, um den Tönen einen volleren Klang zu geben. Es gab ja viele verschiedene Software-Entwickler, die Spiele für das Famicom erstellt haben, und jeder hatte beim Ton einen eigenen Ansatz.

Sakaguchi:

Die Klänge hörten sich je nach Entwickler auch anders an, nicht wahr?

Iwata:

In manchen Software-Titeln wurden so unglaubliche Klangquellen verwendet, dass ich mich gefragt habe, wie sie solche Töne überhaupt erreichen konnten.

Uematsu:

Wo wir schon von umwerfenden Klängen sprechen: Konami hat einen klangerzeugenden Chip verwendet, der in den Modulen selber untergebracht war. Da hatte jeder Entwickler einen eigenen Ansatz und deshalb sind viele verschiedene Klänge zum Einsatz gekommen.

Sakaguchi:

Ah, ich erinnere mich daran. Da wurde also ein besonderer Chip verwendet, ja?

Uematsu:

Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, fand ich es auch ein wenig geschummelt! (lacht)

Iwata:

Was für einen Eindruck hatten Sie denn von Mr. Uematsu, als Sie ihn zum ersten Mal getroffen haben?

Sakaguchi:

Also, ich finde, dass er sich nicht groß verändert hat. Er ist schon immer eine sehr direkte und offene Person.

Uematsu:

Ich war damals nur noch viel jünger. Da war ich ja noch in meinen Zwanzigern.

Sakaguchi:

Aber Sie haben sich nicht sehr verändert. Sie sind einfach Sie selber geblieben, ohne Starallüren oder aufgesetzte Attitüde. Ich erinnere mich, dass ich dachte, dass Sie bestimmt Musik schreiben können, die wirklich von Herzen kommt. Aber davon mal abgesehen ... Es lief auch nicht alles von Anfang an glatt, oder? (lacht)

Iwata:

Was gab es denn für Schwierigkeiten?

Sakaguchi:

Also, davon sprechen wir auch heute noch. Das war während der Entwicklung von FF16. Mr. Uematsu hat mir die Musik vorgeführt und ich habe sie sofort abgelehnt und gesagt: "Da stimmt ja überhaupt nichts!" Dann ist er losgegangen und hat einfach die Reihenfolge der Musikstücke geändert, und ich habe sie sofort akzeptiert und gesagt: "Genau das ist es!" 6FF1 war das erste "Final Fantasy"-Spiel; ein Rollenspiel, das in Japan im Dezember 1987 für das Famicom veröffentlicht wurde.

Iwata Asks
Alle:

(lachen)

Sakaguchi:

Da hat er mich wirklich ganz schön vorgeführt! (lacht)

Uematsu:

So kann man es sagen. (lacht)

Sakaguchi:

An der Musik ist also schließlich gar nichts verändert worden und jetzt sitzen wir hier und arbeiten noch immer zusammen.