3. Ein Prototyp aus beweglichen Blöcken

Iwata:

Wie lange haben Sie an der Handlung von The Last Story gearbeitet?

Sakaguchi:

Der Stein kam ins Rollen, als wir einmal mit Mr. Fujisaka und einem Programmierer aus der Entwicklungsabteilung Essen gingen. Dabei kam es zu einer recht hitzigen Diskussion über die unterschiedliche Philosophie und den Stil von japanischen und westlichen RPGs sowie über die Bilder, die in Werbespots gezeigt werden. Dabei sagten wir Dinge wie: „Das muss so sein ... So sollte es nicht sein ...“ Und aus dieser Diskussion ging die Idee für eine Handlung hervor.

Iwata:

Dann haben Sie sich die Handlung gar nicht selbst ausgedacht, sondern diese nahm vielmehr ganz allmählich Form an, als Sie drei über die Vorgehensweise diskutierten, die Sie bei The Last Story anwenden wollten.

Sakaguchi:

Das stimmt. In den Anfangsphasen haben wir unglaublich lange mit dem Prototyp7 herumexperimentiert. 7Während der Entwicklung dient der Prototyp zum Experimentieren mit den Spielfunktionen und der Funktionsweise des Spiels.

Fujisaka:

Dieser wurde doch ständig verändert?

Sakaguchi:

Wir haben ungefähr anderthalb Jahre daran herumexperimentiert.

Iwata:

War dies das erste Mal, dass Sie bei der Erstellung eines Spiels so vorgegangen sind?

Sakaguchi:

Nein, ich habe die gleiche Vorgehensweise bei FF VII8 angewandt und damals ungefähr ein Jahr gebraucht. Dieses Mal dauerte es aber länger. 8Final Fantasy VII war ein RPG, das in Japan im Januar 1997 für die Sony PlayStation erschien.

Iwata Asks
Fujisaka:

Bei dem anfänglichen Prototyp hatten die Charaktere die Form rechteckiger Blöcke, die auf dem Bildschirm umherliefen.

Iwata:

Das unterscheidet sich wahrscheinlich grundlegend von der Vorstellung, die viele Leute von der Art und Weise haben, wie Sie ein Spiel erstellen. Die Grafiken Ihrer bereits fertiggestellten Spiele sind alle so hervorragend, dass man es Ihnen sicher nachsieht, dass die Grafiken am Anfang so ausgesehen haben. Aber um sich mit den Grundlagen der Spielfunktionen zu beschäftigen, braucht man doch eigentlich gar keine wunderschönen Grafiken.

Sakaguchi:

Das stimmt. Man beginnt damit, die Dinge zum Laufen zu bringen. Und das führt einen dann zum nächsten Schritt.

Iwata:

Ließe man diese Chance ungenutzt, hätte man keinen Eindruck von dem Spielgefühl. Aber anderthalb Jahre sind schon eine lange Zeit. Haben Sie diese als sehr mühsam empfunden?

Sakaguchi:

Die Entwicklung konnte mitunter schon recht mühsam sein. Doch diese Erlebnisse wurden durch die lustigen Teile kompensiert. Eines dieser Elemente, die wir uns damals ausdachten, war der Test-Kerker, der immer noch Bestandteil des Spielprogramms ist, das für die Endproduktion verwendet wird. Das ist ein ganz und gar rechteckiger, wirklich öder Raum ohne jegliche Features. Als wir aber an der Verbesserung des Systems arbeiteten, gingen wir immer in diesen Raum, wo jeder spielen konnte.

Iwata:

Das ist also ein ganz einfach gehaltener Raum, wo keine Gefahr besteht, dass Sie durch eine Umgebung mit zu vielen Details abgelenkt werden.

Sakaguchi:

Richtig. Dieser Kerker war uns von Anfang an eine große Hilfe, weil wir hier unsere Fortschritte genau einschätzen konnten. Das Spielen von bestimmten Teilen hat uns richtig angespornt.

Iwata:

Wenn ich Sie so über all die Zeit und Mühe reden höre, die Sie zur Erstellung der Spielstruktur aufgebracht haben, dann erinnere ich mich an das, was Sie vorher über Ihre Entfernung von herkömmlichen Mustern gesagt haben. Sie müssen schon ziemlich viel ausprobiert haben, um zur endgültigen Struktur des Spiels zu gelangen.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Bei der Erstellung des Spielsystems haben wir wohl zehnmal so viele Ideen verworfen, wie wir nachher für das endgültige Spiel verwendet haben. Wahrscheinlich könnten wir mit all diesen verworfenen Ideen gleich ein paar andere Spiele machen. (lacht)

Iwata:

Wie würden Sie das Spielsystem beschreiben, für das Sie sich letztendlich für The Last Story entschieden haben?

Sakaguchi:

Vielleicht klingt das jetzt ziemlich hochtrabend, aber ich würde sagen, hier geht es einzig und allein um „Ordnung“ und „Chaos“. Im Kampf sichert sich die Seite den Sieg, die auf dem Schlachtfeld „Ordnung“ schafft. Oder anders herum ausgedrückt: Stört man die Ordnung seines Gegners und richtet so ein „Chaos“ an, dann ist das auch der Schlüssel zum Erfolg. Dies wollte ich mit den Kampfszenen des Spiels ausdrücken. Ich wollte das aber nicht auf eine logische, methodische Art und Weise, wie beim japanischen Schachspiel, erreichen. Ich suchte nach einem intuitiveren Kampfsystem, bei dem man den Fluss der Zeit spürt.

Iwata:

Da die Kämpfe in Echtzeit ausgefochten werden, bekommt man ein intuitives Gefühl für das gegnerische „Chaos“, während man die eigene „Ordnung“ erhält. Das bedeutet, dass man seine Strategie immer an die sich kontinuierlich verändernde Situation anpassen muss.

Sakaguchi:

Genau. Es geht nicht nur darum, dass man sich inmitten der Action allein durchschlägt. Werfen Sie mal einen Blick über das Schlachtfeld, dann erkennen Sie überall um Sie herum die Taktiken, aus denen die ‘Ordnung’ und das ‘Chaos’ hervorgehen. Genau so ein System schwebte mir vor, nämlich eines, das realistisch und lebendig ist.

Iwata:

Wie haben Sie diese Zeit des Herumexperimentierens empfunden, Mr. Fujisaka?

Fujisaka:

Nun, für jeden ist es wohl ein bisschen komisch, sich anderthalb Jahre damit zu beschäftigen. Am Anfang gab es da sogar dieses Ufo.

Sakaguchi:

(lacht) Ja, das gab es!

Iwata:

... In dieser Welt gab es ein Ufo?

Fujisaka:

Ein Ufo erschien an der gleichen Stelle, an der auch die Gegner vorkamen. Es sah aber eher wie eine schwebende Scheibe aus.

Sakaguchi:

Das funktionierte aber besser als erwartet! lacht)

Fujisaka:

Es hat Spaß gemacht, oder? Nun, letzten Endes wurde auch das verworfen. Aber das System durchlief alle möglichen Änderungen, und ich musste mich ranhalten und die Bilder für all diese Änderungen produzieren. Damals wurde mir klar, dass es Mr. Sakaguchi vorrangig darauf ankam, die Systemelemente fertigzustellen.

Iwata Asks
Iwata:

Sind Sie ganz bewusst so vorgegangen, Mr. Sakaguchi?

Sakaguchi:

Ja, das bin ich. Natürlich ist die Story sehr wichtig. Wird die Haupthandlung jedoch zur Priorität, dann funktionieren die Vorteile durch die Nutzung des Gameplays nicht mehr so gut. Ich bin ein Mensch, der vielleicht mit eindrucksvollen, gezielten Videosequenzen zufrieden ist. Darum ging es mir.

Iwata:

Sie wollten das tatsächliche Gameplay unterhaltsam machen.

Sakaguchi:

Das stimmt. Meiner Meinung nach entfaltet sich das Drama einer Story erst richtig bei den Kämpfen ...

Iwata:

Ja, da haben Sie recht. Unvergessliche Spiele beinhalten oft Kampfszenen, die einem noch lange im Gedächtnis bleiben.

Sakaguchi:

Nehmen Sie beispielsweise eine Szene, in der Sie jemanden beschützen. Erschiene diese als Teil der Hintergrundgeschichte, wären Sie als Spieler möglicherweise bis zu einem gewissen Grad emotional gebunden. Passiert dies jedoch während eines Kampfs, empfindet der Spieler eine größere Verbundenheit zu seinem Verbündeten. Daher haben wir bei diesem Titel nicht das System an die Bilder angepasst, sondern zunächst das System erstellt und erst anschließend dramatische Story-Sequenzen eingebaut, die zu diesem System passten.

Iwata:

Wie finden Sie das Gameplay jetzt, wenn Sie das Spiel ausprobieren?

Sakaguchi:

Nun, ich habe schon den Eindruck, dass ich das, was ich erreichen wollte, zumindest bis zu einem gewissen Grad ... nun, es ist natürlich nicht perfekt, aber ...

Iwata:

Als ich es tatsächlich sah, empfand ich es als anders als alle Spiele, die ich bisher gesehen habe. Ich war ziemlich erstaunt darüber, dass es eine Schlüsselszene geben würde, die Kamera sich aber nicht automatisch auf diese konzentrierte.

Sakaguchi:

Ah, das stimmt. Das tut sie nicht. (lacht)

Iwata:

Ehrlich gesagt, hat mich das ziemlich überrascht. Normalerweise unternehmen Programmierer und Grafiker alle möglichen Anstrengungen für die Erstellung solcher Schlüsselszenen.

Sakaguchi:

Ja, das stimmt, oder? (lacht) Aber ich fand, dass dieser Ansatz die Spielwelt noch bereicherte. Nur weil es sich um eine Schlüsselszene handelte, wollten wir die Kamera nicht automatisch in diese Richtung lenken. In dieser Welt guckt sich der Spieler doch tatsächlich alles an. Wenn man dann bemerkt, dass vielleicht etwas passiert, während man nicht hinsieht, dann ist das doch ziemlich aufregend, oder?

Iwata:

Das ist aufregend! Und weil es sich um eine ganz neue Vorgehensweise handelt, empfand ich Ihren Ansatz als wirklich innovativ.

Sakaguchi:

Vielen Dank. Der Ansatz geht auf ein Trial-and-Error-Verfahren zurück. Daher ist er vielleicht nicht perfekt, aber dennoch ist seine Einzigartigkeit und die Frische, die er vermittelt, unter dem Aspekt des Unterhaltungswertes sehr wichtig. Selbst wenn manche Aspekte des Spiels vielleicht etwas improvisiert wirken, denke ich doch, dass die Spieler von den Ergebnissen begeistert sein werden.