4. Ein Spiel, das im Gedächtnis bleibt

Iwata:

Dies ist das erste Mario-Spiel, das einen orchestralen Soundtrack verwendet. Miyamoto-san, wie denken Sie über diese Tatsache?

Miyamoto:

Es waren ziemlich viele Leute dagegen, ein Orchester einzusetzen. Ich denke allerdings, diese Leute waren vor allem deshalb dagegen, weil sie annahmen, dass ich Nein sagen würde, deshalb wollten sie das Thema mir gegenüber nach Möglichkeit gar nicht anschneiden.

Iwata:

Ich kann mir vorstellen, wie sie sich gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben wollten: „Sag’s ihm schon!” – „Nein, sag du’s ihm!”

Miyamoto:

Ich wollte am liebsten zurückfragen: „Wieso sollten wir es eigentlich nicht machen?” Ich hatte das Gefühl, dass Streicher und Kesselpauken für das Thema von Super Mario Galaxy sehr gut geeignet wären. Deshalb hatte ich auch ziemlich früh grünes Licht gegeben. Aber irgendwie fühlte sich das Team wohl noch unwohl, so als hätte ich eine bahnbrechende Entscheidung getroffen, als könnte ich im letzten Moment noch meine Meinung ändern.

Iwata Asks
Iwata:

Wenn ich das so höre, wird mir klar, dass nicht nur das Design, sondern auch die Musik als Ausdruck von Funktionen eine wichtige Rolle spielt. Ich habe mir ein Video der Studioaufnahmen des Orchesters angesehen. Sie sahen aus, als hörten Sie den Aufnahmen sehr aufmerksam zu.

Miyamoto:

Sie meinen wohl, Sie dachten, dass ich geschlafen habe, oder?!? (lacht)

Iwata:

(lacht)

Miyamoto:

Das war nur ein Witz! (lacht) Yokota-kun, der sich um den Sound des Spiels gekümmert hat, hatte eine sehr klare Vision davon, was er tat. Als er mir sagte: „Der Klang einer Aufnahme ändert sich, je nachdem, welche Vorstellung die Musiker von der Verwendung ihrer Musik haben!”, da habe ich gesagt: „Ich werde auf jeden Fall bei den Aufnahmen anwesend sein.”

Iwata:

Ich habe gehört, Sie haben vor dem Orchester gesprochen, bevor die Aufnahmen angefangen haben…

Miyamoto:

Ich habe einige eindrucksvolle Tatsachen genannt. Als ich den Musikern sagte: „Die Super Mario-Spiele verkaufen weltweit mehr als zehn Millionen Exemplare!”, da waren alle sehr überrascht. (lacht) Und dann habe ich ihnen noch gesagt: „Außerdem spielen unsere Kunden das Spiel mehrmals, deshalb wird die Musik, die Sie heute spielen, mehr als hundert Millionen Mal gehört. Geben Sie also bitte Ihr Bestes!”

Iwata:

Meinen Sie nicht, hundert Millionen Mal ist ein wenig niedrig gegriffen?

Miyamoto:

Sie meinen, es wäre noch öfter? (lacht) Jedenfalls waren die Mitglieder des Orchesters schon ziemlich beeindruckt, und ich war wirklich froh, dort gewesen zu sein.

Iwata:

Nebenbei gefragt, haben Sie eine Vorstellung, welche Art Menschen Super Mario Galaxy spielen werden, und wie sie es spielen werden?

Miyamoto:

In letzter Zeit ist es doch so, dass ein junger Mann, wenn er eine Wii hat, von seiner Freundin nicht mehr unbedingt kritisiert wird, dass er zu viel spielt. (lacht) Auch unter Studenten ist es häufig so, dass die Menschen sich verabreden, um gemeinsam zu spielen, wenn einer der Kommilitonen eine Wii gekauft hat. Ich denke, in einer solchen Atmosphäre ist Super Mario Galaxy ein Spiel, auf das die Menschen sich wirklich freuen werden. In letzter Zeit sind wohl ziemlich viele Minispiel-Sammlungen auf den Markt gekommen. Super Mario Galaxy ist der erste Titel seit langer Zeit, in dem der Spieler wirklich aufgehen kann.

Iwata:

In der Zeit des NES-Super Mario wurden Videospiele viel häufiger von mehreren Personen gleichzeitig im Wohnzimmer gespielt. Im Laufe der Zeit haben sich die Videospiele aber immer mehr in die Schlafzimmer verschoben, da immer mehr Spiele für nur einen Spieler gemacht wurden. Da Wii allerdings häufig im Wohnzimmer aufgestellt wird, würde ich mich freuen, wenn die Menschen Super Mario Galaxy so spielen würden, wie Videospiele früher gespielt wurden. Es macht immer Spaß, jemand anders dabei zuzusehen, wie er ein gut gemachtes Spiel spielt.

Iwata Asks
Miyamoto:

Ich habe ja eben davon erzählt, wie die Mitglieder des Teams in Tokio mir beim Spielen zugesehen haben. Obwohl alle sagten, sie machen nur ihre Arbeit, hatten doch alle wohl auch ihren Spaß! (lacht) Wir machten die einzelnen Parcours in diesem Spiel auch kürzer und der Spieler erreicht die Bossgegner viel schneller als in früheren Spielen. Ich denke, mit diesem Spiel können auch solche Menschen Spaß haben, die viel zu tun haben. Außerdem gibt es viele Speicherpunkte in der Mitte der verschiedenen Level.

Iwata:

Wenn man in früheren Spielen einen Versuch verlor, musste man ganz am Anfang des Levels wieder einsteigen.

Miyamoto:

Die Spiele unserer Zeit sind in 3D und ihr Umfang ist im Vergleich zu früher gewachsen. Und im Resultat werden die einzelnen Level immer länger. Dieses Problem muss wirklich irgendwie gelöst werden, denn schließlich soll es ja noch Spaß machen, wenn man denselben Teil des Spiels mehrfach wiederholen muss. Wenn man denselben Level immer wieder spielt, baut man als Spieler eine Beziehung zu diesem Level auf. Wenn aber Speicherpunkte gesetzt werden, die den Fortschritt im Spiel erleichtern, resultiert das darin, dass weniger Level einen Eindruck auf den Spieler machen. In fünf Jahren sind wir dann soweit, dass der Spieler nichts mehr zu sagen hat, wenn ihn jemand fragt: „Wie hat dir das Spiel gefallen?” Ich will aber Spiele erschaffen, an die sich jeder erinnern kann.

Iwata Asks
Iwata:

Ideal wäre es, ein Spiel zu machen, in dem der Spieler dieselbe Aufgabe immer wieder zu lösen versucht, ohne dass dabei seine Motivation sinkt, das Spiel zu spielen.

Miyamoto:

Das ist zwar jetzt nur ein persönlicher Eindruck, aber wenn ich zum Beispiel etwa eine Stunde lang klassische Musik höre, erinnere ich mich hinterher nur noch an das Hauptthema. Wenn das Orchester aber zum Beispiel Lieder von den Beatles spielt, erinnere ich mich an fast jeden einzelnen Song. Ich denke, es gibt Songs, bei denen man sich zum Beispiel an die Atmosphäre des Ortes erinnert, an dem man sie zum ersten Mal gehört hat. Ich wünsche mir, dass Spiele irgendwann den gleichen Effekt haben. Deshalb lehne ich es auch ab, zu viele Speicherpunkte zu setzen. Andererseits sehe ich auch den viel beschäftigten Spieler, der sich nur für ein paar Minuten entspannen will und keine Zeit hat, mindestens eine halbe Stunde zu spielen, nur um einen Power-Stern zu bekommen. (lacht) Ich denke, dieses Spiel hat im Hinblick auf Entfernungen und Räume eine gute Balance. Ich habe bei verschiedenen Events Leute gehört, die das Spiel für sein Tempo lobten und dafür, dass sie es genießen konnten, obwohl sie nicht so erfahren waren mit Plattformspielen. Ich denke, dadurch wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass selbst Leute das Spiel mögen werden, von denen man dies gar nicht erwartet. Ich hoffe zumindest, dass das bei Super Mario Galaxy geschehen wird.

Iwata:

Dieses Spiel hat also zwei Intentionen: Die eine ist, Menschen den Spaß an 3D-Spielen näher zu bringen, die eine Abneigung gegen solche Spiele haben. Die andere ist es, Menschen mit dem Vorurteil, dass auf Wii nur Spiele für Anfänger veröffentlicht werden, zu zeigen, dass die sportliche Herausforderung in Spielen von Nintendo EAD noch vorhanden ist.

Iwata Asks
Miyamoto:

Da stimme ich Ihnen zu. Ich möchte die Spieler dazu herausfordern, den Versuch zu unternehmen, alle Power-Sterne zu finden, wenn sie es schaffen! (lacht)

Iwata:

Dann darf ich Sie am Ende unseres Gesprächs sicher noch um einige Worte bitten, um dieses Interview abzuschließen.

Miyamoto:

Ich glaube, wir haben alle Elemente im Spiel beseitigt, bei denen der Spieler denken könnte: „Es ist nicht meine Schuld, dass ich das nicht schaffe!” Dadurch bietet das Spiel Herausforderungen, die es wert sind, dass der Spieler sie annimmt. Der Spieler muss allerdings nicht alle Herausforderungen meistern, er kann Bowser also auch besiegen, wenn er normal spielt. Gleichzeitig wollten wir aber auch, dass der Spieler in der Lage ist, das Spiel in seinem eigenen Tempo zu spielen und sich selbst Ziele zu setzen, wie zum Beispiel: „Jeden Tag nach dem Nachhausekommen einen Power-Stern finden.”

Iwata:

Und vier Monate später merkt der Spieler dann, dass er 120 Sterne gesammelt hat.

Miyamoto:

Fantastisch, oder? (lacht) Ich habe ja eben schon gesagt, Super Mario Galaxy ist ein Spiel, das auch Spaß macht, wenn man mit Mario einfach nur die Gegend erkundet. Man macht neue Erfahrungen, die man vorher so noch nie machen konnte. Ich würde mich wirklich freuen, wenn erfahrene Spieler das unterstützende Spiel verwenden würden, um weniger erfahrene Spieler in die Kunst des Videospiels einzuführen. Ich bin sicher, dieses Spiel macht auch Spaß, wenn der erfahrene Spieler seinen Großvater unterstützt oder seine Mutter spielen lässt.

Iwata Asks
Iwata:

Wird das Wife-o-meter11 in der Familie Miyamoto wieder ausschlagen? (lacht) 11 Das „Wife-o-meter” wurde bei Miyamotos Rede anlässlich der diesjährigen GDC (Game Developers’ Conference) erwähnt und zeigt den Grad des Interesses an, das Miyamotos Frau einem Videospiel entgegenbringt. Das „Wife-o-meter” schlug bei Spielen wie Nintendogs, Animal Crossing und Wii Sports besonders stark aus.

Miyamoto:

Auf jeden Fall werde ich meine Frau beim Spiel unterstützen, so gut ich kann!