1. Eine ganz neue Fortsetzung für den Nintendo DS

 

Iwata:

Heute sind wir zu Gast bei The Pokémon Company.1 Ich würde gerne ein paar Fragen zu „Pokémon Schwarze Edition“ und „Pokémon Weiße Edition“ stellen, die kurz vor der Veröffentlichung stehen. Bei uns sind der Produzent Mr. Ishihara sowie Mr. Masuda und Mr. Sugimori von Game Freak2, die wichtigsten Entwickler des Spiels. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. 1 The Pokémon Company: Das Unternehmen ist verantwortlich für das Markenmanagement aller mit Pokémon zusammenhängenden Aspekte, einschließlich der Videospiele und des Kartenspiels, und betreibt zudem sechs Pokémon-Zentren in Japan. Es wurde im Jahr 2000 gegründet.2 GAME FREAK, Inc.: Entwickler der Pokémon-Videospielserie und anderer Titel. Gegründet 1989.

Alle:

Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite.

Iwata:

Zunächst wüsste ich gerne, wie es dazu kam, dass Sie über ein zweites, gänzlich neues Paar von Pokémon-Spielen für den Nintendo DS nachdachten. Diese Frage sollte ich vermutlich dem Geschäftsführer stellen.

Masuda:

Vermutlich. Mir hatte eigentlich immer eine zweite Generation von Spielen für den Nintendo DS vorgeschwebt, da der Nintendo DS sich weltweit etabliert hat und sich enormer Beliebtheit erfreut.

Iwata:

Es wurden über 100 Millionen Exemplare verkauft.

Iwata Asks
Masuda:

Genau. Am liebsten wäre es mir, wenn jeder einen besäße. Mit diesem ehrgeizigen Ziel habe ich die Entwicklung begonnen.

Iwata:

Wie auch das letzte Spielepaar werden „Pokémon Schwarze Edition“ und „Pokémon Weiße Edition“ für den Nintendo DS herauskommen; aber Ihre Grundhaltung war dieses mal ganz anders als bei „Pokémon Diamant-Edition“ und „Pokémon Perl-Edition“ 3, nicht wahr? 3 : Am 28. September 2006 in Japan erschienene Spiele für das Nintendo DS-System.

Masuda:

Ja. Da diese Generation auf demselben System erscheinen sollte, hatte ich große Bedenken, dass im Endeffekt etwas dabei herauskäme, das mehr oder weniger identisch mit dem Vorgänger sein würde. Wenn wir das Spiel wie üblich entwickelt hätten, wäre möglicherweise etwas dabei herausgekommen, das „Pokémon Diamant-Edition“ und „Pokémon Perl-Edition“ stark geähnelt hätte.

Iwata:

Weil Sie schon so an die Erstellung dieser Spiele gewöhnt waren.

Masuda:

Ja. Also haben wir erst einmal unsere grundlegende Vorgehensweise geändert.

Iwata:

Zunächst haben Sie sich gefragt, wie Sie die allgemeine Vorstellung davon, wie Pokémon-Spiele für den Nintendo DS zu sein haben, – wie soll ich sagen? – niederreißen können.

Masuda:

Genau. Nachdem wir schon seit so langer Zeit an der Serie arbeiteten, war unsere Denkweise festgefahren. Der Austausch von Pokémon durch das Aufsuchen eines Pokémon-Centers war selbstverständlich geworden. Wir mussten erstmal diese starren Vorstellungen aufbrechen.

Iwata:

Sie beschlossen, diese Gelegenheit zu nutzen, um bestimmte Dinge zu überdenken, die sich im Laufe der langen Geschichte der Pokémon-Spiele festgefahren hatten – z. B. die Art ihrer Erstellung und die Regeln, die für diese Spiele gelten.

Masuda:

Genau. Außerdem hatte ich beim Erstellen von Pokémon-Spielen immer den Wunsch, dass sie von allen Altersklassen gespielt werden sollten. Aber es kam häufig vor, dass die Spieler von der Grundschule auf die weiterführende Schule oder von dort auf die Universität wechselten und dabei das Gefühl bekamen, Sie hätten jetzt auch mit Pokémon abgeschlossen. Das fand ich sehr schade. Also dachte ich intensiv darüber nach, was mich selbst Jahr für Jahr bei der Stange halten würde. Ich betrachtete die Spiele erneut aus unterschiedlichen Blickwinkeln und fragte mich z. B., ob ich länger spielen würde, wenn innovative Elemente hinzugefügt würden, oder ob es einen Unterschied machen würde, wenn japanische Kanji-Zeichen anstelle von Hiragana verwendet würden.

Iwata:

Dieses Mal kann man nicht nur Hiragana verwenden, sondern auch einen Kanji-Modus auswählen *. * (Anm. d. Red.: In der japanischen Version der Spiele können Spieler entweder den Kanji- oder den Hiragana-Modus wählen, wodurch die Art der Zeichen bei der Anzeige von Dialogen je nach Lesefähigkeit geändert werden kann. Die deutsche Version verfügt über lediglich einen Lesemodus.)

Masuda:

Ich dachte, manche Leute kämen mit Kanji besser klar.

Iwata Asks
Iwata:

Nach Erscheinen von „Pokémon Diamant-Edition“ und „Pokémon Perl-Edition“ wandte sich Game Freak der Pokémon Platin-Edition 4 zu, aber Sie betrachteten die Spiele aus anderen Blickwinkeln und dachten darüber nach, wie Sie verhindern könnten, dass die Spieler sich irgendwann „zu alt“ oder „zu erwachsen“ für diese Spiele fühlen würden. 4 : Zunächst in Japan am 13. September 2008 als neue Version von und für das Nintendo DS-System erschienen.

Masuda:

Ja. Ich habe ca. zwei Jahre darüber nachgedacht. Aber als wir „Diamant“ und „Perl“ machten, mussten wir uns nicht allzu viele Gedanken darüber machen, wie wir das Spiel anders als die Vorgänger gestalten könnten, da wir ja in dem Nintendo DS neue Hardware hatten.

Iwata:

Schon allein dadurch, dass das Spiel für den Nintendo DS bestimmt war, war es anders.

Masuda:

Im Vergleich zum Game Boy Advance hatte sich die Drahtlosfunktion dramatisch verbessert, die Wi-Fi Connection wurde hinzugefügt und das Spiel konnte durch Berührung des Bildschirms gesteuert werden. Aber wenn wir uns mit derselben Einstellung an „Pokémon Schwarze Edition“ und „Pokémon Weiße Edition“ gemacht hätten wie bei den Vorgängern, wäre etwas Identisches dabei herausgekommen. Dieses Mal brauchten wir also unbedingt neue Denkmuster.

Iwata:

Verstehe. Als Produzent war es Ihre Aufgabe, Mr. Ishihara, sich vor allen anderen Mr. Masudas Ideen anzuhören.

Ishihara:

Ja, genau.

Iwata:

Im Allgemeinen vertreten Produzenten die Ansicht, dass etwas, das gut angekommen ist, nicht allzu stark abgewandelt werden sollte. Was dachten Sie, als Mr. Masuda Ihnen mitteilte, dass er seine Herangehensweise für Pokémon-Spiele grundlegend ändern wollte? Wurde Ihre Vorfreude auf umfassende Neuerungen durch starke Nervosität gebremst?

Ishihara:

Freude war definitiv das überwiegende Gefühl. Die Pokémon-Spiele begannen mit Pokémon Rot und Pokémon Grün (Rot und Blau in Europa) 5 (bzw. Rot und Blau in Europa) für den Game Boy, danach folgten „Pokémon Goldene Edition“ und „Pokémon Silberne Edition“ 6 für den Game Boy Color. 5 : Die erste Generation von Spielen der Pokémon-Serie. Zuerst erschienen in Japan am 27. Februar 1996 für das Game Boy-System.6 : Die zweite Generation von Spielen der Pokémon-Serie. Die Spiele waren kompatibel mit dem Game Boy Color-System, so dass Pokémon in verschiedenen Farben auftauchten. Zuerst erschienen in Japan am 21. November 1999.

Iwata:

Für den Game Boy Advance gab es „Pokémon Rubin-Edition“ und „Pokémon Saphir-Edition“ 7, und für den Nintendo DS erschienen „Pokémon Diamant-Edition“ und „Pokémon Perl-Edition“. 7 : Die dritte Generation von Spielen der Pokémon-Serie. Zuerst erschienen in Japan am 21. November 2002 für das Game Boy Advance-System.

Iwata Asks
Ishihara:

Bislang war es das Schicksal der Serie, jedes Mal auf eine komplett andere Plattform zu wechseln, wenn eine neue Generation erschien. Der Nintendo DS hat jedoch ein langes Leben und hat sich auf der ganzen Welt etabliert. Wir konnten eine zweite Generation für den Nintendo DS erstellen, indem wir – aus Sicht der Entwicklung – bereits vorhandene Ressourcen effektiv nutzten.

Iwata:

Sie spürten, dass Sie Ihr Entwicklungs-Knowhow für den Nintendo DS – Ihre „Ressourcen“, die Sie bei der Entwicklung von „Pokémon Diamant-Edition“ und „Pokémon Perl-Edition“ kultiviert hatten – für „Pokémon Schwarze Edition“ und „Pokémon Weiße Edition“ nutzbringend einsetzen konnten.

Ishihara:

Genau. Auch dieses Mal lagen große Verdienste darin, die früheren Erkenntnisse zu nutzen und auszubauen, aber wie Mr. Masuda schon sagte – wenn man Spiele für dieselbe Plattform entwickelt, muss man sich schon sehr anstrengen, etwas Neues und Andersartiges zu erstellen, sonst ...

Iwata:

Sonst heißt es: „Wie, das ist der ganze Unterschied?!“

Ishihara:

Genau. Es besteht das Risiko, dass die Leute sagen: „Das wird als völlig neues Spiel angepriesen, aber ...” Darüber haben wir uns große Sorgen gemacht, aber als ich Mr. Masudas erste Überlegungen hörte, dachte ich dann doch: „So viel soll geändert werden?!“ und: „Kriegen wir das wirklich hin?“

Iwata:

Die Änderungen waren so enorm, dass sogar ein in Ehren ergrauter Veteran wie Sie sich fragte, ob das möglich war?

Ishihara:

Ja, genau.

Iwata:

Mr. Sugimori, was war Ihr erster Eindruck, als Sie von Mr. Masudas Plänen hörten?

Iwata Asks
Sugimori:

Mr. Masuda hält jedes Mal eine Art kurze Strategierede, in der er darlegt, was er plant.

Iwata:

Eine Strategierede? (lacht)

Sugimori:

Ja. Und in der Regel schießen die Augenbrauen dabei reihenweise in die Höhe.

Iwata:

Und auch dieses Mal dachten Sie: „Schon wieder?!“ (lacht)

Sugimori:

Allerdings. (lacht)

Masuda:

Aber dieses Mal sind sogar alle Pokémon neu - da waren Sie sicher besonders überrascht.

Sugimori:

Na ja, als er zum ersten Mal sagte, dass wir lauter neue Pokémon erstellen würden, sagte ich schon Dinge wie: „Wie bitte?! Das geht jetzt aber vielleicht doch ein bisschen zu weit, oder?!“ und „Hätten wir es nicht auch eine Nummer kleiner?“ Aber ein bisschen Gemecker bringt diesen Kerl nicht von den Inhalten seiner Grundsatzrede ab. (lacht)

Iwata:

Er ist stur. (lacht)

Masuda:

Ja. (lacht) Als er sagte: „Hätten wir es nicht auch eine Nummer kleiner?“, habe ich ihn so angesehen (blickt Mr. Sugimori an) und gesagt: „Das schaffen Sie doch sicher, oder?“

Sugimori:

(lacht)

Ishihara:

Ich habe so das Gefühl, dass auch Mr. Masahiro Sakurai8 nicht so schnell von seinem Standpunkt abrückt. 8 Masahiro Sakurai: Regisseur der „Kirby“- und „Super Smash Bros.“-Serie. Er entwickelt derzeit „Kid Icarus: Uprising“ für das in Kürze erscheinende Nintendo 3DS-System.

Iwata:

Ah, das war klar und deutlich. (lacht)

Alle:

(lachen)

Ishihara:

Er zeigt uns etwas und sagt: „Das machen wir“, und alle denken: „Waaas? Das sollen wir machen?!“ Dann denkt man immer, dass er seine Meinung später ändern wird, aber das geschieht nie.

Iwata:

Er zieht das bis zum Ende durch.

Ishihara:

Genau. Für die anderen ist es schwierig, da Schritt zu halten. (lacht)

Masuda:

Ich glaube, die Mitarbeiter mussten sich diesmal wirklich abrackern.