1. Was mir meine Mutter beigebracht hat

Iwata:

Heute heißen wir Yoichi Kotabe willkommen. Dieser Mann muss eigentlich niemandem vorgestellt werden, da er einer von bekanntesten Anime-Künstler Japans.

Aufgrund seiner Arbeit als offizieller Zeichner von Mario, und der Art und Weise, mit der er die Bilderwelt von so vielen Nintendo-Produkten verändert hat, ist das Zusammentreffen von Nintendo und Mr. Kotabe meiner Meinung nach ein außergewöhnliches Ereignis.

Mr. Kotabe arbeitet zurzeit nicht mehr für Nintendo und ist als individueller Künstler tätig. Er hat sich aber die Mühe gemacht, den ganzen Weg bis nach Kyoto zu kommen, weil ich mich zur Feier der Veröffentlichung von Flipnote Studio mit ihm unterhalten möchte. Vielen Dank, dass Sie hier bei uns sind!

Kotabe:

Das Vergnügen ist ganz meinerseits.

Iwata:

Bevor wir darüber reden, wie sich Ihre Wege mit Nintendo gekreuzt haben, würde ich Sie gerne fragen, was Sie davor gemacht haben. Wie sind Sie ursprünglich zu Animationsfilmen gekommen?

Kotabe:

Vor diesem Interview führte mir Mr. Koizumi vom Tokioter Büro Flipnote Studio vor. Ich fragte ihn, wofür die Software gemacht wurde, und er sagte, man könne damit Daumenkino machen. Ich war überrascht, dass man so etwas mit einem Videospiel anstellen kann, aber ich erinnerte mich auch an etwas anderes.

Daumenkino ist der Ursprung von Animationsfilmen. Zum ersten Mal in Kontakt mit der Welt von Anime kam ich durch ein Daumenkino.

Iwata Asks
Iwata:

Können Sie uns das genauer schildern?

Kotabe:

Mein Vater malte Ölbilder und ich mochte Kunst schon als Kind. Ich habe immerzu Manga gelesen und die Bilder darin nachgezeichnet. Es war aber meine Mutter, die mein Interesse an Anime geweckt hat.

Iwata:

Hat Ihre Mutter auch gezeichnet?

Kotabe:

Nicht viel, als ich aber noch zur Grundschule ging, zeigte sie mir eine Abblätterbuch-Animation. Sie zeichnete ein Strichmännchen an den Seitenecken eines meiner Schulbücher. Ich glaube mich zu erinnern, dass das Männchen trainiert hat. Als ich sah, wie es sich bewegte, war ich überrascht. Ich habe es selbst mal versucht und einige Daumenkino-Animationen mit Strichmännchen gezeichnet. Sogar noch heute erinnere ich mich, wie das Männchen hochspringt, eine Stange ergreift, einen Salto macht und dann wieder herunterspringt. Von da an haben mich bewegliche Bilder immer fasziniert.

Iwata:

Der Einfluss einer Mutter kann sehr wirkungsvoll sein.

Kotabe:

Ich war das älteste Kind von fünf. Selbst als ich noch klein war, hat sie mir mit dem Lineal öfters mal eins übergebraten.

Iwata:

Sie wurden also streng erzogen.

Kotabe:

Ja, aber als ich zur Schule ging, hatte ich dennoch nur Unsinn im Kopf.

Iwata:

Das kann dann nur der Einfluss Ihres Vaters sein.

Kotabe:

Denkbar möglich. Ich begann, Kunst immer mehr in mein Herz zu schließen, gleichzeitig purzelten meine Schulnoten aber immer weiter nach unten.

Iwata:

Die Welt der Kunst hatte wohl eine große Anziehungskraft auf Sie.

Iwata Asks
Kotabe:

Die Schule, die ich besucht habe, war eigentlich eine reine Mädchenschule, die sich aber entschieden hat, auch Jungs zum Unterricht zuzulassen.

Iwata:

Das waren die Anfänge, als Mädchenschulen nach und nach zu gemischten Schulen gemacht wurden.

Kotabe:

Genau. Es war die beste Mädchenschule in ganz Tokio, die Noten der Mädchen waren dementsprechend spitze. Das sorgte dafür, dass ich Lernen noch mehr hasste. (lacht) Als ich mit der Schule fertig war, fragte ich mich, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Meine Eltern meinten, ich könnte eine Universität besuchen, wenn es eine staatliche wäre. Wie durch Zufall sagte mir ein Freund, der auch Kunst mochte, dass die Zulassungsprüfungen für den Studienkurs der japanischen Malkunst nur darin bestünden, etwas in Aquarell zu malen. Ich hatte davor noch nie auf traditionelle japanische Art und Weise gemalt – kein einziges Mal – aber ich habe trotzdem an der Prüfung an der Universität Tokio teilgenommen. Wie es das Schicksal so wollte, habe ich bestanden. Es war eine Welt voller Leute, die Kunst sehr ernst genommen und auf Manga von oben herabgeschaut haben.

Iwata:

Sie sind in den späten 50ern zur Schule gegangen. Damals waren Manga in der Öffentlichkeit noch nicht so beliebt.

Kotabe:

Mein Professor an der Universität war ein sehr bekannter japanischer Maler. Ich entschied mich ein Künstler zu werden. Ich wollte den gleichen Status erreichen, auch wenn es bedeutete, arm zu sein. Darüber habe ich mich auch mit meinen Freunden unterhalten, als es aber darauf ankam, eine Arbeit zu finden, gab es für mich gar nichts.

Iwata:

Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es war, eine Anstellung als japanischer Kunstmaler zu finden.

Kotabe:

Das war es auch. Die Gesellschaft hatte keine Arbeitsstellen anzubieten, bei denen man Bilder zeichnen konnte. Dann stellte man bei Toei Animation1 aber Zeichner ein.

1Toei Doga Co., Ltd.: Eine Anime-Firma, die 1952 als Tochterunternehmen von Toei Co., Ltd. Gegründet wurde. 1992 wurde der Name des Unternehmens in Toei Animation Co., Ltd. geändert.

Iwata Asks
Iwata:

Wussten Sie da sofort, dass es der genau richtige Ort für Sie war?

Kotabe:

Der erste Animationsfilm in voller Länge, den Toei produziert hat, hieß "Panda and the Magic Serpent"2.

2 Panda and the Magic Serpent" war der erste Animationsfilm in voller Länge in Japan. Er wurde von Toei Animation, Co., Ltd. produziert und 1958 zum ersten Mal ausgestrahlt.

Iwata:

Ja, ich habe davon gehört.

Kotabe:

Ich habe ihn als Student gesehen und war begeistert. Ich bin mit Disney-Filmen aufgewachsen und war immer der Meinung, japanische Animationsfilme taugten nicht so viel. Als ich aber "Panda and the Magic Serpent" gesehen habe, hat das meine Meinung geändert. Ich fand es sehr bewegend, dass Japan so etwas Unglaubliches schaffen konnte. Und, wie soeben erwähnt, stellte man bei Toei Animation Leute ein.

Iwata:

Das Schicksal nahm seinen Lauf.

Kotabe:

Ich habe zwei meiner Kommilitoninnen eingeladen und ihnen gesagt, "Wenn ihr keine Arbeit findet, lasst uns gemeinsam an Animationsfilmen arbeiten!" Die beiden Mädchen hatten kein Interesse an Manga. Sie wussten nicht mal viel über Animationsfilme. Doch waren es sie, die eine Anstellung fanden, und ich nicht! (lacht)

Iwata:

Ich fasse es nicht! Sie wurden nicht genommen?

Kotabe:

Ich war mir meiner Sache so sicher, danach wusste ich erstmal nicht, was ich tun sollte. Ich war so aufgeregt, dass ich bald bei Toei Animation arbeiten würde, es hat mich schwer getroffen. Bei Toei feierte man aber einen Erfolg nach dem anderen, und so dauerte es nicht lange, bis sie wieder Leute suchten. Ich bewarb mich erneut und wurde gerade mal so eingestellt.

Iwata Asks
Iwata:

Hätten Sie damals aufgegeben, wäre Ihr Leben und die Geschichte japanischer Animationsfilme vollständig anders ausgefallen. Wie viele Personen haben bei Toei Animation zur selben Zeit wie Sie angefangen?

Kotabe:

Das Unternehmen war damals äußerst erfolgreich, ich denke, so an die 30. Noriko Hikone war einer davon.

Iwata:

Er hat "Uncle Carl"3gezeichnet.

3 "Uncle Carl" ist eine beliebte Figur aus japanischen Cartoons, die oftmals auf Verpackungen von Snacks abgebildet wird.

Kotabe:

Isao Takahata war auch mit von der Partie.

Iwata:

Mr. Takahata von Studio Ghibli? Was für ein Dream Team.

Kotabe:

Er hatte mit der Regie zu tun. Er war zwar ein wenig älter als ich, begann aber zur selben Zeit wie ich.

Iwata:

Hayao Miyazaki von Studio Ghibli hat sich seine Sporen auch bei Toei Animation verdient.

Kotabe:

Miya ist fünf Jahre jünger als ich. Er genießt heute außergewöhnliches Ansehen. (lacht) Als ich damals Key-Frames zeichnete, war er eine Zeit lang in meiner Gruppe.