3. Nicht einfach ''Europa''

Iwata:

Welches war Ihre erste Aufgabe, nachdem Sie bei Capcom angefangen hatten?

Ono:

Als ich jung war, half ich überall aus. Eine meiner Aufgaben bestand darin, verschiedene Spiele auf Bugs hin zu untersuchen, weil es zu dieser Zeit noch keine eigens dafür vorgesehene Position gab. Und jeder schätzte meine Fähigkeiten zur Einstellung des FM-Oszillators12. 12FM-Oszillator: Frequenz-Modulations-Oszillator. Eine Technik zur Manipulation von Frequenzen, um Sound mit sehr wenigen Daten zu erzeugen. Ein solcher wurde von Yamaha Corp. eingeführt.

Iwata:

Was?! Das ist doch ein ganz einzigartiges Talent! (lacht)

Iwata Asks
Ono:

Ist das wirklich ein „Iwata fragt“-Interview? (lacht) Wir sprechen hier über Dinge, die man eigentlich nur in hoch-spezialisierten Liebhaber-Zeitschriften findet...

Iwata:

Wo wir gerade über den FM-Oszillator sprechen, so wurde es als sehr schwierig angesehen, die Parameter für diese Dinge einzustellen. Die Tatsache, dass Sie hierzu in der Lage waren, beweist, dass Sie so etwas wie ein Handwerksmeister waren, der darüber Auskunft geben konnte, wie und zu bis zu welchem Grad etwas ausgefeilt war, einfach indem Sie nur die Oberfläche berührten.

Ono:

Vielen Dank für das Kompliment! (lacht) Zu der Zeit bestand das Musik-Team bei Capcom aus Leuten, die an Musik- und Kunsthochschulen ihren Abschluss gemacht hatten. Ich war der einzige, der einen Abschluss als Ingenieur hatte. Deshalb wurde ich in das X6800013–Team aufgenommen, und fing an, Portierungsarbeit für die Musik von Street Fighter zu machen. 13X68000: Ein 16-Bit-Personalcomputer, der 1987 von der Sharp Corp. auf den Markt gebracht wurde.

Iwata:

Sie mussten die eigentliche Melodie komponieren, um diese über einen FM-Oszillator auszugeben. War das viel Arbeit?

Ono:

Ja, das war sehr harte Arbeit! (lacht) Aber das war meine erste Berührung mit dem Street Fighter-Spiel. Als Folge davon hatte ich einen guten Ruf in der Firma. Meine nächste Aufgabe bestand darin, Musik für ein anderes Spiel für den FM-Oszillator im Hinblick auf das SEGA Mega Drive System (auch als Genesis bekannt) zu konvertieren. Zu dieser Zeit schickte man mich dafür auf eine Geschäftsreise nach Amerika. Ich hatte großes Glück, dass ich mir fremde Märkte ansehen konnte, als ich noch jung war.

Iwata:

Wie alt waren Sie zu der Zeit?

Ono:

Oh, ich denke, 23 oder 24.

Iwata:

Wow. Das heißt, das war nur zwei oder drei Jahre, nachdem Sie bei der Firma angefangen hatten. Das ist sehr früh.

Ono:

Das erste Mal erlebte ich es nur als Schock und Überraschung. Ich sah mir an, wie man in Übersee spielte und welche Geschmäcker man dort hatte.

Iwata:

Konnten Sie mit den Einheimischen kommunizieren?

Ono:

Oh, dieses Thema. Zu der Zeit gab es dort jemanden namens Mr. Yoshiki Okamoto.14 Er war ein Typ, der sehr spontan reagiert. Die Arbeit mit ihm hat mich auf solche Dinge vorbereitet. (lacht) Zu dieser Zeit wollte Capcom amerikanische Comics lizensieren und entschied sich im Rahmen dieser Bestrebungen für einen Comic mit dem Namen Spawn15. Mr. Okamoto bat mich: „Gehen Sie zu McFarlane Toys16.” Worauf ich antwortete: „Aber ich kann doch kein Englisch.“ Da schoss es aus ihm heraus: „Machen Sie sich keine Sorgen. Das klappt schon irgendwie.“ Damals ergab es sich oft, dass ich bei meinen Besuchen mehrere Monate in Amerika bleiben musste. Ich fing an Englisch zu lernen, als wäre es ein Teil meines Lebens, möglicherweise, weil ich mein Leben bedroht sah. (lacht) 14Yoshiki Okamoto: Ein früherer Spiele-Entwickler bei Capcom Co., Ltd.15Spawn: Ein beliebter Comic von Image Comic-Es, Inc. der erstmals 1992 veröffentlicht wurde. 16McFarlane Toys: Eine vom Schöpfer von Spawn 1994 gegründete Spielzeugfirma.

Iwata Asks
Iwata:

Also kamen Sie praktisch in ein Umfeld, in dem Sie zum Lernen gezwungen wurden. Haben Sie auf diese Weise Englisch gelernt?

Ono:

Ja. Ich denke, das habe ich wirklich Mr. Okamoto zu verdanken. Danach war ich bei Meetings mit ansässigen Firmen immer in der Lage, meine Meinung zu sagen. Und auf dieser Grundlage konnte ich Dinge in die von mir gewünschte Richtung lenken. Anders gesagt empfinde ich es am wichtigsten, die Wünsche der Konsumenten direkt von ihnen selbst und nicht durch Bücher oder Berichte zu erfahren. Auf diese Weise lernt man auch den spezifischen Ton und die besonderen Leidenschaften ihrer Stimmen kennen. Allein, das zu wissen, ist schon gewaltig. Darum rate ich den Mitarbeitern in meinem Team, mit den Leuten zu sprechen, selbst wenn sie sich nur bruchstückhaft ausdrücken können.

Iwata:

Als Schüler war ich nicht gut in Englisch. Aber das änderte sich, als ich im Rahmen meiner Arbeit bei HAL Laboratory17 eine Geschäftsreise nach Amerika machte. Ein Titel, an dem ein Entwickler in Übersee arbeitete, musste noch innerhalb dieses Jahres fertig gestellt werden. Man sagte mir nur: „Kümmern Sie sich darum!“ Ich wusste gar nicht, wann ich wieder nach Hause würde fahren dürfen. (lacht) Die Situation war so, dass ich einfach Englisch sprechen musste, wenn ich das Problem lösen wollte. Nachdem mir das klar geworden war, fing ich an, Stück für Stück Englisch zu lernen. 17HAL Laboratory, Inc.: Ein Software-Entwickler, der unter anderem an den Kirby- und Super Smash Bros.-Serien gearbeitet hat.

Ono:

Das stimmt. Man musste die Dinge erledigen, sonst konnte man nicht nach Hause fahren. (lacht) Da wurde mir klar, dass es nicht ausreicht, nur per E-Mail oder über Daten miteinander zu kommunizieren. Selbst wenn man weiß, was in den japanischen Game-Stores vor sich geht, hat man noch keine Ahnung davon, was in Übersee passiert. Das hängt davon ab, wie viele Informationen man von den Leuten in den dortigen Game-Stores erhält.

Iwata:

Je nachdem, was die Belegschaft des Ladens empfiehlt und was nicht, können sich die Spielverkäufe erheblich verändern. Aber man kennt den Unterschied nicht, bis man sie direkt fragt.

Ono:

Ja. Es hängt wirklich davon ab, inwieweit man die Antworten aufeinander abstimmt, die man aus ihnen herausbekommt, und was die Spiele-Entwickler machen wollen. Man kann keine Werbung für ein Spiel isoliert von der Geschäftsseite aus machen. Dafür muss man schon den Leuten in den Geschäften zuhören.

Iwata:

Dadurch, dass man Sie zwang, nach Übersee zu gehen, wurde Ihr Einflussbereich als Entwickler erweitert.

Iwata Asks
Ono:

Ich glaube schon. Oftmals sagen die Leute beiläufig einfach „Europa“, aber man kann es eigentlich nicht einfach als „Europa“ bezeichnen. Da gibt es so viele Länder, viele Kulturen und viele Arten von Leuten. Es ist fast so, als wäre jeder Ort nochmals untergliedert, so wie eine Nachbarschaftsvereinigung in Japan. Jeder in dieser Gemeinschaft hat eine andere Meinung.

Iwata:

Man kann sie nicht einfach anhand der Länder gruppieren, wie England, Deutschland oder Frankreich.

Ono:

Das kann man nicht. Es gibt so viele Dinge, die anders sind, sogar in den benachbarten Ländern. Man muss jedem einzelnen von ihnen Gehör schenken. Wie ich schon sagte, haben wir immer noch das gleiche Ziel, es hängt nur von dem Weg ab, für den wir uns entscheiden. Ein guter Ausgangspunkt ist meiner Meinung nach, sich darüber Gedanken zu machen, was für Leute die Verbraucher sind. Das ist, als würde man einen Vorschlaghammer für filigrane Arbeiten verwenden. Man kann nicht sagen: „Wenden Sie diese Strategie auf ganz Europa an.“ Dadurch, dass diese Botschaft ständig wiederholt wurde, haben meines Erachtens alle bei Capcom diese Einstellung angenommen.

Iwata:

Ich verstehe.

Ono:

Ich glaube, wenn man nach Übersee fährt, muss man viele Erfahrungen am eigenen Leibe machen. Man sieht die Dinge mit anderen Augen, je nachdem, ob man als berufstätiger Erwachsener oder als Student auf Reisen unterwegs ist. Um das wirklich zu begreifen, sollten Japaner öfter nach Übersee reisen. Eine Sache, die ich wirklich beschämend finde, ist, wie die Worte von Keiji Inafune18 „Schauen Sie nach Übersee“ als „Verlassen Sie Japan“ fehlinterpretiert wurden. Wir sind Japaner. Also müssen wir unsere japanischen Konsumenten betrachten. Es gibt keine andere Möglichkeit. 18Keiji Inafune: Ein früherer Spiele-Schöpfer und Charakter-Designer bei Capcom, der an der Rockman- (außerhalb von Japan als Mega Man bekannt)- und anderen Serien gearbeitet hat.

Iwata:

Die Ergebnisse unterscheiden sich wirklich. Je nachdem, ob die Arbeit nur in Japan oder auf der ganzen Welt Anklang finden soll.

Ono:

Ja. Daher sollte jeder, der Spiele macht, nicht nur Capcom, sondern auch den Rest der Welt beachten. Solange ich in Japan Spiele mache, möchte ich, dass auch andere Japaner Erfolg haben. Ich möchte, dass sie zu Kriegern werden, die auf der ganzen Welt erfolgreich sind. Darum müssen sie sich erkundigen, was in Übersee läuft. Wenn sich ihnen eine solche Möglichkeit nicht bietet, dann sollten sie versuchen, sich eine solche Möglichkeit selbst zu schaffen. So können sie anfangen, sich selbst zu verändern. Man kann nicht ganz Europa über einen Kamm scheren. Man sollte sich darüber Gedanken machen, wie unterschiedlich die verschiedenen Länder und Orte sind, und man sollte diese Haltung stets beibehalten. Erst dann wird man die Strukturen auf einem viel tiefgründigeren Niveau erkennen. Anschließend ist man vielleicht in der Lage zu erkennen, wie man mit den Unterschieden zwischen Männern, Frauen, Kindern, Erwachsenen und den Alten umgeht. Und das bezieht sich nicht nur auf die Spielentwicklung, sondern man kann hiermit auch Dinge managen, die man vom Standpunkt der Werbung und des Verkaufs nicht sehen konnte. Ich möchte, dass jeder diese Strukturunterschiede erkennt und versteht.

Iwata Asks
Iwata:

Anders ausgedrückt: Wenn sich Ihr Produkt millionenfach verkaufen lässt, könnte es eine Million Gründe geben, weswegen es gekauft wurde. Wir neigen aber dazu, nur über den einen Grund nachzudenken, weshalb es jeder gekauft hat. Je mehr wir versuchen, die unterschiedlichen Konsumententypen zu verstehen, umso mehr Gelegenheiten können wir wegen der Unterschiede im Hinblick auf Kultur und Werte erhalten. Entweder ist es das, oder wir finden einen Blickwinkel wie: „Das trifft auf jeden zu.“ und lassen jeden einzelnen sagen, welche Sache ihm besonders viel Spaß bringt.

Ono:

Hier haben Sie recht. Wir müssen den Verbrauchern vielfältige Zugänge und Pfade aufzeigen. Andererseits sollten wir diese Zugänge nicht auf der Grundlage nicht fundierter Ideen aufbauen. Mir gefällt es, Dinge zu erstellen, indem ich folgende Details durchdenke: „Oben gibt es die und die Struktur, und das Land hat die Form, also...“ Als Schöpfer möchte ich, dass solche Dinge bemerkt werden.