1. ''Ich will Spiele machen''

Iwata:

Ich möchte mich heute mit Mr. Hazama, einem Produzenten von Square Enix, über sein neuestes Projekt unterhalten: THEATRHYTHM FINAL FANTASY. Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.

Hazama:

Ganz meinerseits.

Iwata Asks
Iwata:

Zu Beginn würde ich gerne über Ihre bisherigen Erfahrungen mit Videospielen sprechen. Wir werden natürlich auch noch auf das Spiel selbst zu sprechen kommen, aber ich finde, dass sich die Erfahrungen und Gedankengänge des Schöpfers oft in dem Produkt selbst widerspiegeln.

Hazama:

Okay.

Iwata:

Was war Ihre erste Erfahrung mit Videospielen?

Hazama:

Wenn Sie damit meine Erfahrung als Spieler meinen – ich bin früher oft mit meinen Freunden auf dem Nachhauseweg von der Schule in Spielhallen gegangen. Davor habe ich etwa ab der Mittelstufe Konsolenspiele gespielt, aber ich hatte keine eigene Konsole, also musste ich dazu immer meine Freunde besuchen.

Iwata:

Welche Arten von Spielen haben Sie denn gespielt?

Hazama:

Ich war völlig besessen von „Mario Bros.“1. Das habe ich gespielt und gespielt, bis irgendwann die Mutter des jeweiligen Freundes kam und fragte, ob meine Eltern nicht vielleicht schon eine Suchmeldung nach mir aufgegeben hätten. Dann griff ich mir das Spielmodul und trabte einfach weiter zum nächsten Freund ... 1 „Mario Bros.“ ist ein Action-Spiel, das 1983 in Japan für NES und die Spielhallen erschien.

Iwata:

Das war damals immer ein regelrechter Kampf um den Controller, nicht wahr?

Hazama:

Allerdings! (lacht) Das war wahrscheinlich überall dasselbe. Ja, ich glaube, das ist eine meiner frühesten Erinnerungen an Videospiele.

Iwata:

Ist Ihnen irgendetwas von diesen frühen Erinnerungen ganz besonders im Gedächtnis geblieben?

Hazama:

Ich glaube, als Kind habe ich Spiele immer als etwas angesehen, an dem man gemeinsam mit Freunden Spaß hat. Eine andere Sichtweise kam mir gar nicht in den Sinn. Das lag vermutlich daran, dass wir, wie gesagt, zu Hause nie eine Konsole hatten.

Iwata:

Haben Ihre Eltern das nicht erlaubt?

Hazama:

Ja, da waren sie sehr eigen ... Du liebe Zeit, so etwas habe ich ja noch nie gesagt! (lacht) Jetzt verstehe ich mich super mit meinen Eltern, aber damals waren sie ganz schön streng.

Iwata:

Verstehe.

Hazama:

Das war wohl auch der Grund dafür, dass ich, kaum dass ich von zu Hause ausgezogen war, das gesamte Geld, das ich verdiente, für Dinge ausgab, die mir zuvor verboten gewesen waren.

Iwata:

Was denn für Dinge?

Hazama:

Ach, jetzt kommt einem das alles so albern vor ... Das waren Kinkerlitzchen wie die Schaumbäder, die ich in Filmen gesehen hatte, und solche Sachen. (lacht) Na ja, das Höchste, was ich im Haus meiner Eltern erwarten konnte, waren Badesalze, die angeblich dieselben Mineralien aufwiesen wie irgendwelche berühmten heißen Quellen, wissen Sie?

Iwata:

Ah, das kann ich Ihnen nachfühlen! (lacht)

Hazama:

Tja, was noch ...? Ach ja - Fernsehen in der Badewanne, solche Sachen eben. Irgendwie klingt das gerade, als hätte ich einen totalen Badefimmel, oder? (lacht) Na ja, so Zeug war das halt.

Iwata:

Ich schätze, Sie haben einfach das Gefühl genossen, dass Ihnen niemand mehr vorschrieb, was Sie zu tun und zu lassen hatten.

Hazama:

Ja, genau. Es hat also auch nicht lange gedauert, bis ich mir meine erste Konsole gekauft habe, ein SNES, und ein Exemplar von „Final Fantasy VI“2. 2 „Final Fantasy VI“ war der sechste Teil der Final-Fantasy-Serie; das Spiel wurde 1994 von Squaresoft (jetzt Square Enix) in Japan für SNES veröffentlicht.

Iwata:

Das war dann also Ihre erste Begegnung mit „Final Fantasy“?

Iwata Asks
Hazama:

Ja. Ich habe die Konsole mit nach Hause genommen, an den Fernseher angeschlossen, das Modul eingeschoben und mir den Controller geschnappt. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Und los geht’s!“ Dann sah ich die Eröffnungsszene … und das war wirklich ein Schlüsselerlebnis für mich.

Iwata:

Sie war viel beeindruckender als alles, was es bis dahin gegeben hatte, nicht wahr?

Hazama:

Ja, es war umwerfend. Die Einblendung des Vorspanns, während diese Magitek-Rüstungen durch den Schnee stapften … es war wie in einem Kinofilm. Das war das erste Mal, dass ich mich wirklich in Ruhe mit einem derartigen Spiel hingesetzt hatte, und es war auch das erste Spiel, das ich mir gekauft hatte. Ich war sofort Feuer und Flamme.

Iwata:

War das der Moment, in dem Sie Ihr Herz an Videospiele verloren haben?

Hazama:

Ja. Damals arbeitete ich in der Spieleabteilung von Bandai (jetzt Namco Bandai), aber ich war im Beschaffungswesen tätig und hätte mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages für das Unternehmen arbeiten würde, welches das Spiel erstellt hatte, das ich gerade spielte.

Iwata:

Das war aber keine Abteilung, die etwas mit den Entwicklern zu tun hatte, oder?

Hazama:

Nein, es ging nur darum, wann bestimmte Produkte in bestimmten Lagern sein mussten und solche Sachen. Eigentlich hatte ich nur mit dem fertigen Produkt zu tun. Aber ich glaube, das war in etwa die Zeit, in der ich zum ersten Mal ganz vage darüber nachdachte, dass ich vielleicht gerne irgendwann etwas mit der Entwicklung von Spielen zu tun haben würde. Aber das kam nicht einfach so über Nacht ...

Iwata:

Man kann sich da ohne einen konkreten Einstiegspunkt immer schwer festlegen, nicht wahr? Manche Leute haben ein Talent fürs Zeichnen oder sind gut im Programmieren, und das ist dann ihr Ausgangspunkt.

Hazama:

So gesehen, bin ich kein „Schöpfer“ – obwohl ich heute als Produzent arbeite und verrückt nach Spielen bin. Aber damals spürte ich verstärkt, dass ich irgendwie daran beteiligt sein wollte, selbst wenn ich die Spiele nicht selbst erstellte.

Iwata:

Verstehe. Und selbst wenn man nicht an der Produktion beteiligt ist, selbst wenn man für die Beschaffung oder sonst etwas zuständig ist, muss man sein Produkt trotzdem extrem gut kennen, um zu wissen, wie viele Exemplare man bestellen muss und solche Dinge.

Hazama:

Allerdings.

Iwata:

Man muss wissen, wie bestimmte Produkte aufgenommen wurden, sonst könnte man einen Fehler machen und das ganze Lager des Unternehmens mit Ladenhütern füllen. Und bei solchen Aufgaben denkt man sich wahrscheinlich automatisch: „Wenn das Spiel nur anders aufgebaut gewesen wäre, so und so etwa“, oder: „Darauf haben die Leute wirklich angesprochen.“ Meinen Sie das?

Hazama:

Ja, solche Dinge gingen mir oft durch den Kopf.

Iwata:

Ohne solche Gedanken könnte man seine Produkte gar nicht richtig einschätzen.

Hazama:

Stimmt.

Iwata:

Und wenn man keine derartige Liste im Kopf führt, dann kann man auch keine solchen Vorschläge einbringen, selbst wenn man irgendwann bei den Entwicklern landet.

Hazama:

Nein, in der Tat. Rückblickend würde ich sagen, dass das unmöglich wäre.

Iwata:

Es ist schon interessant – wenn ich solche Gespräche führe, merke ich immer wieder, dass es keine vergeblichen Erfahrungen gibt. Irgendwann kommt einem alles einmal zugute.

Hazama:

Auf jeden Fall.

Iwata:

Wenn ich etwas tun muss, was mir in diesem Moment keinen Spaß macht, denke ich mir oft, dass es mir aber später einmal nutzen wird.

Hazama:

Ja, ja, genau! Das ist ja verrückt … Bei jedem Wort, das Sie sagen, habe ich mehr und mehr das Gefühl, dass Sie von mir sprechen!

Iwata & Hazama:

(beide lachen)

Iwata:

Ist das der Grund, weshalb Sie bei Squaresoft (jetzt Square Enix) gelandet sind?

Hazama:

Das hat sicher eine Rolle gespielt. Ich war bei Bandai fünf Jahre lang für die Beschaffung zuständig und (Shinji) Hashimoto3, der inzwischen Vorstandsmitglied ist, hat mich dann überzeugt, zu Squaresoft zu wechseln. Allerdings hat er mich dabei ausgetrickst ... (lacht)3 Shinji Hashimoto ist der Leiter der 1. Produktionsabteilung. Er begann als Produzent bei dem ursprünglichen Unternehmen Squaresoft, wo er viele Titel beaufsichtigte, darunter auch „Final Fantasy VII“.

Iwata:

Tatsächlich? Inwiefern? (lacht)

Hazama:

Na ja, als ich zu Squaresoft kam, dachte ich natürlich, ich würde etwas mit Spielen zu tun haben, aber kaum war ich dem Unternehmen beigetreten, wurde eine Merchandising-Abteilung aufgebaut, deren Leitung mir übertragen wurde. Sie dachten wahrscheinlich, weil ich bei Bandai gearbeitet hatte, hätte ich Ahnung von Charakter-Artikeln, Spielzeugen und solchen Sachen. (lacht)

Iwata:

(lacht) „Du da! Erstell uns ein paar tolle Fanartikel!“ So was in der Art? Aber Sie waren bei Bandai doch in der Beschaffung tätig, oder? Sie hatten doch gar keine Erfahrung mit dem Erstellen von Merchandising-Produkten.

Hazama:

Nein. Es war alles völlig neu für mich. Aber es hat Spaß gemacht und ich hatte währenddessen die Gelegenheit, auch bei vielen anderen Dingen mitzuhelfen.

Iwata:

Aha.

Hazama:

Und eines Tages unterhielt ich mich dann mit (Tetsuya) Nomura4 und er erwähnte, dass eigentlich fast alle, die im Unternehmen anfingen, ganz egal in welcher Abteilung sie letztlich landeten, absolut vernarrt in Spiele waren und irgendwann selbst welche erstellen wollten. Und ich dachte mir: „Stimmt, das wollte ich doch auch einmal …“ 4 Tetsuya Nomura hat als Charakter-Designer viele der beliebtesten Final-Fantasy-Charaktere entworfen; als Direktor ist er für die „Kingdom Hearts“-Spieleserie verantwortlich.

Iwata Asks
Iwata:

Und nach diesem Kommentar von Mr. Nomura wurde eine vage Sehnsucht zu einem ganz konkreten Wunsch?

Hazama:

Ja, genau. Irgendwie fügten sich plötzlich alle Teile ineinander und mir ging auf, dass ich mich genau am richtigen Ort befand, um meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Iwata:

Eine beiläufige Bemerkung von Mr. Nomura hat Ihr Leben also auf einen ganz anderen Weg gebracht…