2. Erweiterung der Hirnleistung

Iwata:

In den Jahren zwischen 2004-2006 hatte man noch keine Theorien über die Tätigkeit innerhalb des Gehirns aufgestellt. Mit der wachsenden Beliebtheit von Gehirn-Jogging wuchs jedoch das Bedürfnis, diese Vorgänge wissenschaftlich zu ergründen. Daher mag Sie die Beliebtheit der Spiele vor mancherlei Problem gestellt haben, Dr. Kawashima.

Kawashima:

Nein, nein. Die Sache ist nur… dass mit Gehirn-Jogging erstmals ein Produkt geschaffen wurde, das behauptete, es verwende wissenschaftliche Informationen über die sich im Gehirn abspielenden Vorgänge. Im Wesentlichen wurde behauptet, das Areal des präfrontalen Cortex würde stimuliert. Ich fand das an sich schon epochal und bedauerte, dass nur wenige Leute das Spiel unter diesem Aspekt analysierten.

Iwata:

Und wenngleich Gehirn-Jogging ein so wertvolles Mittel war, um generationsübergreifend innerhalb von Familien zu kommunizieren, wurde diesem Aspekt dennoch nur wenig Beachtung geschenkt.

Mithilfe optischer Topographie 3 wurde bewiesen, dass das Gehirn beim Spielen von Gehirn-Jogging stärker durchblutet wird. Man könnte auch sagen, dass das Spiel das Gehirn arbeiten lässt. Andererseits wurden seinerzeit keine Theorien dazu aufgestellt, welche Veränderungen sich anschließend im Gehirn ergeben. Ich frage mich, zu welchen Fortschritten die Wissenschaftler seither gelangt sind. 3 Die optische Topographie ist ein medizinisches Verfahren zur Untersuchung der Hirntätigkeit. Mithilfe dieses Verfahrens wird die Aktivität an der Gehirnoberfläche in den Arealen gemessen, die für die Motorik, die Sprache und andere Funktionen verantwortlich sind.

Kawashima:

Nun, zunächst haben wir bewiesen, dass sich insbesondere bei älteren Menschen durch das Spielen von Gehirn-Jogging bestimmte Hirnfunktionen verbessern. Dieses wurde anhand einer Reihe physiologischer Indikatoren bewiesen.

Iwata:

Ich verstehe.

Kawashima:

Außerdem haben wir herausgefunden, dass die Verwendung von Gedächtnistrainingssoftware – hiermit ist andere Software als Gehirn-Jogging für das Nintendo DS-System gemeint – die Hirnfunktionen nicht nennenswert verbessert. Diese anderen Trainings, unter die nicht das Gehirn-Jogging fällt, scheinen unser Gehirn auf logische Weise zu trainieren. Die mithilfe der optischen Topographie durchgeführten Messungen haben jedoch gezeigt, dass diese den präfrontalen Teil des Gehirns nicht belasten.

Iwata:

Demzufolge trainiert man sein Gehirn damit nicht wirklich, auch wenn man Aufgaben ausführt, die zunächst denen von Gehirn-Jogging ähneln. Vielmehr ist es erforderlich, gleichzeitig eine Reihe verketteter Vorgänge durchzuführen, zum Beispiel zunächst die Aufgabenstellen zu lesen, anschließend eine Berechnung durchzuführen und schließlich die Lösung mit dem Touchpen des Nintendo DS aufzuschreiben.

Kawashima:

Das stimmt. Meine Hypothese ist, dass man durch mit Leichtigkeit ausgeführte Tätigkeiten sein Gehirn nicht hinreichend belastet und somit keinen Trainingseffekt erzielt. Außerdem lässt sich die Belastung des Gehirns allein durch Messen der Hirnaktivität bestimmen. Führt man also Dinge durch, die logischerweise als zweckmäßig erscheinen, gibt es keinen Beweis dafür, dass diese auch eine Belastung für das Gehirn darstellen.

Iwata Asks
Iwata:

Ich verstehe. Sie messen die Hirntätigkeit also mit Verfahren, wie der optischen Topographie, um die Durchblutung des Gehirns zu bestimmen und zu ermitteln, ob dieses einer Belastung ausgesetzt wurde. Ich erinnere mich, dass wir für Gehirn-Jogging eine Reihe von Aufgaben aufbauend auf Ihren Theorien erstellt haben. Am Ende verwarfen wir jedoch eine Vielzahl dieser Aufgaben. Manche dieser Aufgaben sollten logischerweise das Gehirn stimulieren. Dann sagten Sie uns jedoch, dass sich das Gehirn in Wirklichkeit bei der Bearbeitung dieser Aufgaben „abkühle“. Damit bewahrheitet sich erneut, dass man unmöglich wissen kann, was das Gehirn stimuliert, solange man nicht die Hirntätigkeit gemessen hat.

Kawashima:

Das stimmt. Ich finde es sehr interessant, dass sich durch Psychologie allein nicht bestimmen lässt, was das Gehirn stimuliert. Bei der Entwicklung von Gehirn-Jogging war die Erweiterung der Hirnaktivität ein großes Thema. Die Hirnfunktion, die insbesondere mit Gehirn-Jogging verbessert werden sollte, war die Geschwindigkeit der Gedächtnisverarbeitung. Spätere Experimente haben gezeigt, dass hierdurch sowohl die Hirnkapazität als auch verschiedene kognitive Funktionen gesteigert werden.

Iwata:

Ich kann mir vorstellen, dass das, was Sie gerade zur „Erweiterung der Hirnkapazität“ gesagt haben, für Laien nur schwer verständlich ist. Könnten Sie das bitte noch ein bisschen ausführlicher erklären?

Kawashima:

Gern. Um das Phänomen der Hirnalterung zu verdeutlichen, verwenden wir eine Technik namens MRI 4, mithilfe derer wir messen können, wie sich die Gehirne älterer Menschen verändern. So können wir zum Beispiel eine Veränderung der Schichtdicke des Nervengewebes messen, das als Großhirnrinde bezeichnet wird. 4 MRI (Magnetic Resonance Imaging): Kernspintomographie. Das MRI-Verfahren verwendet Magnetfelder und Radiowellen, um Bilder vom Inneren des Körpers aufzunehmen.

Iwata:

Ich nehme an, die Großhirnrinde wird mit zunehmendem Alter schwächer?

Iwata Asks
Kawashima:

Ja. Gewöhnlich wird sie dünner. Die Hirnrinde ist im Alter von 8 bis 10 Jahren am dicksten und wird anschließend dünner. Bis zu einem Alter von etwa 20 Jahren ist diese Ausdünnung auf die Verfestigung zurückzuführen. Danach geht man jedoch davon aus, dass die Großhirnrinde mit zunehmendem Alter wieder schrumpft. Es handelt sich dabei also um einen ganz natürlichen Vorgang.

Iwata:

Ich verstehe.

Kawashima:

Ungefähr zur Jahrtausendwende wurde in einer Zeitschrift namens Science5 plötzlich ein Forschungspapier veröffentlicht, das behauptete, das Jonglieren stimuliere die Kapazität der Hirnareale, die für die Tastbewegung verantwortlich sind, nämlich den Scheitel- und den Schläfenlappen. Dieses war das erste wissenschaftliche Papier, das behauptete, eine Veränderung des Gehirns visuell beobachtet zu haben.5 Science ist eine wissenschaftliche Zeitschrift, die seit 1880 von der American Association for the Advancement of Science [Amerikanische Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften] herausgegeben wird.

Iwata:

Ach ja?

Kawashima:

Nun, genau wie beim Jonglieren können wir psychologisch nachvollziehen, dass Gehirn-Jogging Veränderungen des Gehirnnetzwerks stimuliert und die Hirnfunktionen verbessert. Gehirn-Jogging wurde dafür konzipiert, die Verarbeitungszeit des Gehirns zu trainieren. Ziel des neues Softwaretitels, Diabolisches Gehirn-Jogging, ist es jedoch, die Kapazität des „Kurzzeitgedächtnisses6“ zu erhöhen. Mit anderen Worten haben wir versucht, ein Trainingsprogramm zu schaffen, mit dem Sie die Menge an speicherbaren Informationen in Ihrem Kurzzeitgedächtnis steigern können.6 Der Begriff „Kurzzeitgedächtnis“ bezieht sich auf den Gedächtnisprozess, bei dem vorübergehend Informationen gespeichert, verarbeitet und genutzt werden. Hierbei handelt es sich um eine Hirnfunktion, die zielgerichtetes gespeichertes Material mit den verschiedensten gespeicherten Informationen vergleicht und entsprechend reagiert.

Iwata:

Somit enthält Ihr „Kurzzeitgedächtnis“ also Informationen, die Sie vorübergehend gespeichert haben und an die Sie sich später wieder erinnern. Ein typisches Beispiel für dieses Kurzzeitgedächtnis ist, sich schnell eine Telefonnummer zu merken und diese nach dem Notieren sofort wieder zu vergessen.

Kawashima:

Genau. Das Kurzzeitgedächtnis ist der Teil des Gehirns, der am schwierigsten zu trainieren ist. Bis zu einem gewissen Grad ist das Speichervermögen des Gehirns, unabhängig vom Alter oder Geschlecht – festgelegt, wenngleich Leute, die wir für intelligent erachten, meist höhere Kapazitäten haben. Wir haben Universitätsstudenten gebeten, sich täglich einem 20-60 minütigen Training des Kurzzeitgedächtnisses zu unterziehen. Dabei haben wir herausgefunden, dass die Kapazitäten im präfrontalen Teil, der die anspruchsvolleren Hirnfunktionen übernimmt, sowohl im linken als auch im rechten Lappen zugenommen hatten. Zu unserer großen Überraschung konnten wir bei ihnen auch eine höhere Kreativität beobachten.