1. Gemeinsam sind wir stark

Iwata:

In Iwata fragt: The Wonderful 101: Hideki Kamiya habe ich Mr. Kamiya, den Director von „The Wonderful 101“ über seine Gedanken und Erfahrungen befragt, die ihn letztlich in den Bereich der Spieleentwicklung und an seine heutige Position geführt haben. Heute gesellen sich auch Herr Inaba von PlatinumGames1 und Mitglieder des Nintendo-Teams zu uns, um sich mit uns über den Inhalt des Spiels zu unterhalten. Vielen Dank, dass Sie auch noch an diesem zweiten Teil teilnehmen, Herr Kamiya.1. PlatinumGames Inc.: Ein 2006 gegründetes Entwicklerstudio. „The Wonderful 101“ kam in Europa am 23. August auf den Markt. Derzeit arbeitet das Studio an „Bayonetta 2“ für Wii U. Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich in Osaka.

Kamiya:

Es ist mir ein Vergnügen. Und mit ein paar Verbündeten an meiner Seite fühle ich mich auch gleich viel wohler.

Alle:

(lachen)

Iwata:

Könnten Sie sich dann alle erst einmal vorstellen? Danke, dass Sie so lange gewartet haben, Herr Inaba.

Inaba:

Kein Problem! (lacht) Mein Name ist Inaba. Ich bin Producer bei PlatinumGames.

Iwata Asks
Iwata:

Mit Ihnen habe ich mich auch schon in unserer Sitzung Iwata fragt: PlatinumGames unterhalten.

Inaba:

Genau. Ich freue mich, heute wieder mit von der Partie zu sein.

Matsushita:

Mein Name ist Matsushita. Ich arbeite bei Nintendo und habe das Projekt als Director geleitet.

Iwata Asks
Iwata:

Das ist schön.

Yamagami:

Ich bin Yamagami von Nintendo. Ich arbeite als Producer.

Iwata Asks
Iwata:

Prima. Vielen Dank, dass Sie alle heute hier sind. Vielleicht könnten wir damit anfangen, wie es überhaupt zu „The Wonderful 101“ kam?

Kamiya:

Ich wusste, dass Sie das fragen würden … (wendet sich zu Yamagami) Wo sollen wir anfangen?

Yamagami:

Vielleicht damit, wie Sie sich gefühlt haben, als Sie Ihren Projektplan eingereicht haben?

Inaba:

Dann müssen wir erst einmal über diesen Projektplan reden – das können wir nicht überspringen!

Yamagami:

Stimmt auch wieder. Das war der erste Projektplan, den PlatinumGames je bei Nintendo vorgelegt hat.

Iwata:

Aha …

Kamiya:

Alles begann damit, dass Herr Minami2 uns auftrug, einen Plan für ein Spiel zu erstellen, in dem weltberühmte Figuren mit Nintendo-Charakteren zusammenträfen.2. Tatsuya Minami: CEO und Präsident von PlatinumGames.

Iwata:

Keine ganz leichte Aufgabe! (lacht)

Yamagami:

Wenn ich da kurz etwas zu den Hintergründen sagen dürfte: Etwa ein halbes Jahr bevor uns dieser Projektplan vorgelegt wurde, war ich eine Zeitlang sehr an PlatinumGames interessiert gewesen. Ungefähr zur selben Zeit wurde ich zufällig auch Präsident Minami vorgestellt.

Iwata:

Das war das erste Mal, dass Sie mit PlatinumGames in Kontakt kamen, Herr Yamagami?

Yamagami:

Ja. Wir hatten uns also an diesem Tag gerade erst vorgestellt. Kurz darauf meldete sich Präsident Minami bei mir und erklärte, er habe eine interessante Idee. Und dann hat er mir diesen Plan vorgelegt. Leider können wir heute keine Bilder dieses Plans zeigen.

Iwata:

So viel also zum Hintergrund des Projekts. Was haben Sie gedacht, als Sie den Auftrag dann intern erhielten, Herr Kamiya?

Kamiya:

Ich fand „Wai Wai World“3 und „Famicom Jump“4 für den Famicom (NES) total super. Es gibt zahlreiche All-Star-Spiele, in denen Helden aus unterschiedlichsten Medien auftreten, und ich liebe es, wenn man die Grenzen des ursprünglichen Spiels sprengen kann, indem man diese Charaktere zusammenbringt und gemeinsam interagieren lässt. 3. Wai Wai World: „Konami Wai Wai World“. Ein Action-/Shooting-Spiel, das im Januar 1998 für den Famicom veröffentlicht wurde. Darin traten verschiedene Hauptcharaktere aus damaligen Konami-Spielen auf.4. Famicom Jump: „Famicom Jump: Hero Retsuden“. Ein Action-RPG für den Famicom, das im Februar 1989 von Bandai herausgebracht wurde. Es ist ein Crossover-Spiel, in dem zahlreiche beliebte Charaktere aus dem Manga-Magazin „Weekly Shonen Jump“ auftreten. Das Spiel wurde zur Feier des 20. Jahrestages des Magazins veröffentlicht.

Iwata Asks
Iwata:

In diesen Spielen geht es ganz schön zur Sache. (lacht)

Kamiya:

Ich habe „Famicom Jump“ für JoJo5 gekauft, aber die Hauptcharaktere kommen und gehen, sodass man nicht immer als der eigene Lieblingscharakter spielen kann. Also habe ich mich gefragt, ob man es vielleicht allen recht machen könnte, indem man es möglich macht, das gesamte Spiel in der Rolle des jeweiligen Lieblingscharakters zu spielen.5. JoJo: „JoJo’s Bizarre Adventure“. Eine beliebte Manga-Serie von Hirohiko Araki, die ab 1987 in „Weekly Shonen Jump“ erschien. Sie ist auch heute noch populär und wurde für unterschiedliche Medien adaptiert – u. a. als TV-Anime-Serie.

Iwata:

Verstehe.

Kamiya:

In dieser Hinsicht ist „Smash Bros.“6 sehr gut gemacht. Man kann als sein Lieblingscharakter spielen, und das Ganze ist ein sehr ausgefeiltes, abgerundetes Beispiel für diese Art von Spiel. Als ich also darüber nachdachte, was ich mit meinem aktuellen Auftrag anfangen sollte, überlegte ich mir, ob es nicht möglich wäre, alle Charaktere zusammen auf die Bühne zu bringen.6. Smash Bros: „Super Smash Bros.“-Serie. Eine Kampfspiel-Serie, deren erstes Spiel für das Nintendo 64-System im November 1999 in Europa erschien. Das Spiel wurde von HAL Laboratory, Inc. entwickelt, dem Satoru Iwata damals vorstand. Er arbeitete zudem als Programmierer an dem Spiel mit.

Iwata:

Alle Charaktere sollten also jederzeit mit dabei sein?

Kamiya:

Ja, das war der Ausgangspunkt dieses Projekts. Und von da an hatten wir jede Menge Ideen dazu, was wir mit so vielen Charakteren auf einmal anfangen könnten.

Yamagami:

Die Grundlagen des Spiels haben sich danach eigentlich nicht mehr geändert.

Iwata:

Es ist wirklich unglaublich, wie sehr die hier auf dem Plan notierte Beschreibung dem fertigen Produkt ähnelt.

Kamiya:

Allein das ist schon ungewöhnlich für von mir erstellte Projektpläne!

Inaba:

Ja, das dürfte ein einmaliges Ereignis sein. Sie haben hier die Charaktere, das visuelle Konzept und den Kern des Spiels. Fehlt nur noch das Spiel selbst.

Iwata:

Und hier steht „Unite-Morph“7. Sogar das stand schon fest!7. Unite-Morph: Ein Angriff, mit dem die Kräfte der Superhelden gebündelt und diese in verschiedene Objekte verwandelt werden können. Durch das Aufnehmen zusätzlicher Helden in eine Einheit kann die Durchschlagskraft eines Unite-Morphs dramatisch gesteigert werden.

Kamiya:

Die Ideen zu dem Unite-Morph stammten aus Büchern, die ich in meiner Kindheit gelesen hatte. „Kaibutsu Ni Nacchata“8 (Wir wurden zu Monstern) war eine Geschichte über Tiere, die gemeinsam ein riesiges Monster bildeten. Und dann gab es noch die Geschichte von „Swimmy“9, die auch in den Schulbüchern stand. 8. Kaibutsu Ni Nacchata: Ein Kinderbuch von Yasuko Kimura. Bei dem Versuch, ein Monster in einem Haus zu konfrontieren, klammern sich die Tiere des Waldes so zusammen, dass sie wie ein riesiges Monster aussehen. Allerdings konzentrieren sie sich so darauf, möglichst dicht zusammenzurücken, dass sie sich nicht mehr voneinander lösen können. Am Ende verwandeln sich die Tiere in ein echtes Monster, das sich in dem Haus einnistet.9. Swimmy: Ein Kinderbuch des niederländischen Autors Leo Lionni. Die Hauptfigur ist ein kleiner schwarzer Fisch namens Swimmy, der sich mit einem Schwarm roter Fische zusammentut. Zusammen formen sie einen gigantischen Fisch, in dem Swimmy das Auge spielt. Gemeinsam gelingt es ihnen, ihren Feind, den Thunfisch, zu vertreiben.

Iwata:

Ah, die Geschichte, wo er ruft: „Ich spiele das Auge!“, als die kleinen Fische einen großen Fisch bilden, nicht wahr?

Kamiya:

Ja, genau. Als Kind fand ich die Idee ungeheuer aufregend, dass kleine, separate Dinge sich zu etwas Großem, Starken zusammenfinden können. Ich glaube, dass war der Ursprung des gesamten Projekts.

Iwata:

Das bringt uns wieder zurück zu unserer Diskussion aus dem ersten Teil. Solche alten Erinnerungen sind oft eine Quelle der Inspiration.

Kamiya:

Ja. Es ist schon fast beängstigend, wie viel davon schon im Projektplan zu erkennen ist.

Inaba:

In der Regel beginnt Herr Kamiyas Gedankenprozess mit einer visuellen Vorstellung; oft hat er daher noch gar keinen konkreten „Spielkern“ im Sinn. Das kommt dann meist erst später. Dieses Projekt begann also ganz anders als die meisten anderen.

Iwata:

Herr Yamagami, was dachten Sie über dieses Projekt, als Sie das erste Mal davon hörten?

Yamagami:

Es passiert mir ja nicht oft, aber als ich das Cover gesehen habe, bin ich zurückgezuckt … (lacht)

Iwata:

Das ist in der Tat eine ungewöhnliche Reaktion von Ihnen, Herr Yamagami! Das kommt sicher nicht sehr oft vor.

Yamagami:

Ich weiß aus Erfahrung, dass es unmöglich ist, so viele Charaktere in ein Spiel hineinzuquetschen, dass sie quasi von selbst die Form verändern. Der Inhalt ist dabei erst einmal Nebensache.

Iwata:

Das Cover macht auf jeden Fall sogar mich nachdenklich – und dabei war ich der Producer, der sich schier die Beine ausgerissen hat, um all die Charaktere in das erste „Smash Bros.“ aufzunehmen! (lacht)

Iwata Asks
Yamagami:

Ja! (lacht) Als der Plan also vorgeschlagen wurde, war meine erste spontane Reaktion: „Das ist völlig unmöglich.“ Das Projekt wurde dann erst mal eine Weile auf Eis gelegt.

Iwata:

Die Mischung verschiedener Charaktere war also vom Tisch.

Yamagami:

Ja. Einige Monate später, nach zahlreichen Irrungen und Wirrungen, wurde uns dann über unsere Lizenzierungsabteilung, die als Anlaufstelle für Drittunternehmen fungiert, ein Plan vorgeschlagen, der keine „All Stars“ enthielt. Ich wusste erst mal nichts davon, aber Herr (Shinya) Takahashi10 rief mich zu sich, zeigte mir eine Demo und sagte: „Schauen Sie sich das mal an! Das ist wirklich interessant.“ Als ich das sah, wusste ich sofort, dass es sich um diese Idee von PlatinumGames handelte. 10. Shinya Takahashi: Geschäftsführer von Nintendo, Generaldirektor der Software Planning & Development Division und Generaldirektor der Abteilung für Software-Planung & Entwicklung. Er nahm an Iwata fragt: Wii Street U Powered by Google teil.

Iwata:

Sie wussten, dass es dieses Konzept war, das Ihnen bereits vorgelegt worden war.

Yamagami:

Das war mir sofort klar. Ich erklärte Herrn Takahashi, worum es ging, und flehte ihn an, das Projekt mir zu übertragen. Und so fing alles an.