1. Es begann mit einem DS-Experiment

Iwata:

Heute will ich mich mit zwei Personen unterhalten, die an der Erstellung der Wii Fit-Software maßgeblich beteiligt waren. Zunächst einmal bitte ich Sie beide zu erklären, welche Aufgabe Sie bei der Entwicklung dieser Software hatten.

Sugiyama:

Mein Name ist Sugiyama, ich arbeite im Software Development Department der Entertainment Analysis & Development Division. Bei Wii Fit habe ich die Rolle des Producers übernommen. Bisher hatte ich unter anderem an der Mario Kart-Serie mitgearbeitet, insofern war die Arbeit an Wii Fit schon eine ganz neue Erfahrung. (lacht)

Iwata:

Übrigens, Sugiyama-san, wir arbeiten ja schon seit den Zeiten des Famicom miteinander. Als ich mein erstes Programm für den Famicom schrieb, da haben Sie die Pixel-Art entworfen. Der Titel der Software bleibt allerdings unser Geheimnis! (lacht)

Matsunaga:

Mein Name ist Matsunaga, und ich gehöre ebenfalls zum Software Development Department der Entertainment Analysis & Development Division. Bei Wii Fit hatte ich die Position des Chief Directors inne. Bisher war ich als Designer häufig mit dem Zeichnen von Entwürfen befasst, und so war es bei diesem Projekt das erste Mal, dass ich als ordnende Kraft in den gesamten Produktionsprozess involviert war. Hiervor habe ich mich mit Super Mario 64 DS1 beschäftigt, wo ich unter anderem für die Animation von Mario zuständig war. 1 3D-Action-Spiel, in Japan gleichzeitig mit dem Nintendo DS im Dezember 2004 veröffentlicht, in Europa erschienen im März 2005.

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Iwata:

Als es an die Herstellung von Wii Fit ging, waren Sie sicher verwirrt, als Sie zum ersten Mal von dem Projekt hörten. Was haben Sie eigentlich gedacht, als Miyamoto-san Ihnen sagte: „Ich will ein Spiel machen, in dem sich der Spieler täglich wiegen soll.“?

Sugiyama:

Bei der Konzeption von Wii hatte Miyamoto-san die Idee einer Paketstruktur, in der es ein Sportpaket, ein Partypaket und ein Gesundheitspaket geben sollte. Das Sportpaket wurde dann zu Wii Sports, aus dem Partypaket entstand Wii Play, und das Gesundheitspaket war die Basis für Wii Fit. Für das Gesundheitspaket hatten wir darüber geredet, eine Waage zu verwenden, damit der Nutzer mindestens einmal pro Tag Lust bekommt, Wii einzuschalten. Als ich zum ersten Mal davon hörte, dachte ich mir nichts weiter und hielt das für ein interessantes Konzept, aber als die Entwicklung dann tatsächlich anfing, wurde mir klar, dass ich da in eine mittlere Katastrophe hineingeraten war. (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

Bei einer Software wie Mario Kart weiß man von Anfang an, dass Nintendo das Produkt mit der entsprechenden Energie vermarkten wird, nicht wahr? Aber als Sie anfingen, Wii Fit zu entwickeln, konnten Sie sich sicher noch nicht vorstellen, dass auch diese Software so extrem gefördert werden würde.

Sugiyama:

Niemals! (lacht) Das hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen. Das liegt aber auch daran, dass ich am Anfang davon ausging, dass die Waage da bleibt, wo sie normalerweise eingesetzt wird.

Iwata:

Und die meisten Waagen stehen im Badezimmer, nicht wahr? (lacht)

Sugiyama:

Deshalb haben wir uns zuerst über diesen Punkt Gedanken gemacht: Wie schaffen wir es, dass die Kunden ihre Waage im Wohnzimmer aufstellen? Wir dachten zum Beispiel auch daran, USB-Speicher2 zu verwenden... 2 USB-Speicher verwenden Flash-Speicher, um einen leichten Austausch und Transport von Daten zu ermöglichen.

Iwata:

Aha? Der Kunde wiegt sich also im Badezimmer, speichert die Daten auf einem USB-Stick und nimmt ihn dann mit ins Wohnzimmer, wo die Wii-Konsole steht... Ehrlich gesagt ein vollkommen absurder Plan! (lacht)

Alle:

(lachen)

Iwata Asks
Sugiyama:

Am Anfang waren wir verzweifelt. Wenn die Verwendung einer Waage vorausgesetzt wird, gibt es eine unglaubliche Menge an Einschränkungen, und uns wollte einfach kein guter Plan einfallen.

Iwata:

Und was ist mit Ihnen, Matsunaga-san? Sie erhielten ungefähr zur selben Zeit wie Sugiyama-san den Auftrag, die Software für dieses Projekt zu erstellen, oder?

Matsunaga:

Mir hatte Miyamoto-san schon vor seinen Gesprächen mit Sugiyama-san das Thema Gesundheit gegeben, und ich experimentierte mit gesundheitsbezogener Software für den Nintendo DS.

Iwata:

Matsunaga-san, Sie hatten sich über das Thema also schon länger den Kopf zerbrochen! (lacht) Sie waren gerade mit Super Mario 64 DS fertig geworden und freuten sich wahrscheinlich auf die vermeintliche Ruhe danach. Als Ihnen dann gesagt wurde, dass Gesundheit das Thema des nächsten Projektes sein sollte, da dachten Sie sich doch wahrscheinlich auch erstmal: „Was...?!?“

Matsunaga:

In der Tat, am Anfang war ich verwirrt. (lacht) Ich kaufte also Bücher zum Thema und sammelte Informationen im Netz, aber dann fragte ich mich, was ich damit nun eigentlich anfangen sollte. Das Thema war wirklich schwer zu fassen. (lacht)

Iwata:

An welchen Inhalten sind Sie denn bei der Recherche hängen geblieben?

Matsunaga:

Ich überlegte, das Thema irgendwie mit dem Thema Diät zu verknüpfen. Also kaufte ich mir alle möglichen Bücher und stellte fest, dass es da die verschiedensten Untergruppen gibt. Bei manchen Diäten geht es in erster Linie um Bewegung, andere wiederum schränken die Nahrungsaufnahme ein. Ich fragte mich, welche Variante wohl am besten für unsere Kunden geeignet wäre, und beschloss, zunächst die Nahrungsaufnahme in den Mittelpunkt zu stellen. Ich fand die Idee praktisch, einfach in den DS einzugeben, wie viele Kalorien man jeden Tag zu sich genommen hat.

Iwata:

Der Nutzer sollte also zum Beispiel eingeben, dass er mittags eine Nudelsuppe gegessen hatte, und der DS würde die entsprechende Kalorienmenge zuordnen.

Matsunaga:

Genau. Außerdem sollte der Nutzer Daten zu seinem Gewicht eingeben können, um dann selbst zu erkennen, dass eine Gewichtszunahme auf das, was er gegessen hat, zurückzuführen ist. Ich dachte, das müsste sich doch irgendwie für ein Diätprogramm nutzen lassen.

Iwata Asks
Iwata:

Ich spreche jetzt aus Erfahrung... Mit einer frühen Version von Wii Fit habe ich mich jeden Tag gewogen, und in einer Woche hatte ich tatsächlich mein Gewicht ein wenig reduziert. Aber als ich dann am Sonntag auswärts essen war und mich am nächsten Tag auf die Waage stellte, da war ich schockiert! (lacht) Eine einzige Mahlzeit kann die Bemühungen einer ganzen Woche zunichtemachen. Matsunaga-san, Sie hielten es doch für wünschenswert, den Grund fürs Zu- oder Abnehmen zu verstehen. Und dann hat Miyamoto-san Ihnen erzählt, dass er Spaß daran hatte, sich jeden Tag zu wiegen, oder?

Matsunaga:

Davon hat er mir erzählt, als ich schon eine Weile mit dem DS herumexperimentiert hatte. Anfangs hatte Miyamoto-san mich nur mit der Entwicklung einer Software beauftragt, mit der man leicht in den DS eingeben kann, was man gegessen hat. Dazu habe ich dann einen Prototyp erstellt, aber...

Iwata:

Was hat Miyamoto-san Ihnen gesagt?

Matsunaga:

Er hat mir gesagt, er sei vollkommen unbrauchbar! (lacht)

Alle:

(lachen)

Iwata:

Miyamoto-san ist ganz schön streng, wenn ein Projekt nicht läuft! (lacht) Und wann kam dann der Wendepunkt?

Matsunaga:

Als die Waage zum Thema wurde. Da fiel der Entschluss, dass das Projekt nicht für den DS, sondern für Wii gemacht werden sollte.

Iwata:

Und da kamen Sie als Producer ins Spiel, Sugiyama-san?

Sugiyama:

Ja. Wir tappten zu dieser Zeit völlig im Dunkeln und wussten nicht, ob aus dem Projekt jemals ein Produkt werden würde. Zunächst einmal kauften wir verschiedene Waagen, wir unterhielten uns mit diversen Herstellern von Waagen...

Iwata:

Welche Art von Gesprächen führten Sie denn mit den Herstellern, die Sie besuchten?

Sugiyama:

Wir gingen davon aus, dass in den meisten Haushalten bereits eine Waage vorhanden ist, und wollten die Marktsättigung überprüfen. So erfuhren wir, dass Körperfettwaagen sich ziemlich konstant verkaufen, und ließen uns deren Aufbau von den Herstellern erläutern. Dabei wurden einige von uns zu echten Experten auf dem Gebiet. (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

Grundsätzlich holen wir ja eher selten von externen Firmen Rat ein, wenn wir bei Nintendo ein Spiel entwickeln. Wenn wir an einem neuen Mario-Titel arbeiten, fragen wir jedenfalls niemand anderen, wie wir das Spiel interessant gestalten können. (lacht) Hatten Sie da nicht Bedenken, als Sie zu Waagenherstellern gehen sollten?

Sugiyama:

Natürlich war uns mulmig zumute. (lacht) Schließlich geht es hier um ein ganz anderes Fachgebiet, und wir hatten ja noch gar keine Erfahrung im Umgang mit anderen Firmen.

Matsunaga:

Im Vertrauen gesagt: Ich war bis dahin noch nicht einmal in einem Firmenwagen gefahren. (lacht)

Alle:

(lachen)

Matsunaga:

Außerdem hatte ich den Eindruck, dass auch die Leute in den Firmen, die wir besuchten, rätselten, welchen Plan wir eigentlich verfolgen...

Iwata:

Wahrscheinlich fragten sich Ihre Gesprächspartner: „Was will ein Videospiel-Hersteller bei einem Hersteller von Waagen?” (lacht)

Matsunaga:

Genau. (lacht) Wir erklärten unseren Gesprächspartnern zwar, dass unser Thema Waagen sind und dass wir sie an den Fernseher anschließen wollten, aber unser Konzept konnten wir wohl nicht ausreichend deutlich machen...

Iwata:

Aus ihrer Sicht ist es ja auch unsinnig, eine Waage an den Fernseher anzuschließen, wo sie doch über eine eigene Anzeige verfügt. Im letzten Interview hat Sawano-san erzählt, dass ein Gesprächspartner ihn an eine Fabrik in China abwimmeln wollte. (lacht)

Sugiyama:

Ja, so ähnlich liefen die Gespräche. (lacht) Das Hauptgeschäftsfeld der meisten Waagenhersteller sind Körperfettwaagen. Deshalb hörten die meisten sich unsere Vorschläge zwar an, aber wirkliches Interesse konnten wir nicht wecken.